*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 60295 *** +------------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Fettschrift | | als ~fett~. | | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs. | +------------------------------------------------------------------+ [Illustration] Von _Anton von Perfall_ erschien bei _Albert Langen_: _Die Malschule_ Novelle 5. Tausend Kleine Bibliothek Langen Band 50 Anton von Perfall Die Hexe von Norderoog Novelle Viertes Tausend [Illustration] _Albert Langen_ Verlag für Litteratur und Kunst ~München 1908~ [Illustration] Der Herbst hatte seinen Einzug gehalten in den Halligen. Scharen wilder Gänse grasen zwischen den Lämmern; um die Wattströme mit ihrem vielverschlungenem Netz von kleinen Wasserläufen streichen mit ohrenbetäubendem Gezeter unzählige Mövenenten, während Langbeine aller Art, welche die Wanderschaft nach fernen Ländern hier zusammengefunden, in dem zähen Schlick herumstechen nach Meergetier, und in den grünen Wasserläufen selbst, die vom Meere hereindrücken, der Tümmler sein lustiges Wesen treibt. In der Nacht aber saust und braust es in den Lüften von Tausenden von Flügeln, mit der Brandung um die Wette, die weit draußen sich bricht, oft so dicht über dem Strohdach, daß die Schläfer erschreckt auffahren und den seltsamen Lauten aufhorchen. Die Alten bekreuzigen sich wohl und drehen sich auf die andere Seite, die Jungen aber packt das Sehnen nach fernen Ländern, und Bild auf Bild verscheucht den Schlaf. Gestern kehrte man vom Markte zu Wyk zurück, die Schiffe vollgestopft mit Winterwaren. Jetzt konnte es losgehen! Man hatte nichts mehr zu suchen draußen. Die Binnenarbeit hob an. Der erste „Aufsitz‟ sollte bei den Götreks genommen werden auf der Götrekswarf, die acht Giebel umfaßte. Mutter Götrek hauste dort seit zwölf Jahren mit ihren beiden Söhnen Lars und Knut. Den Vater hatte die Nordsee geholt, die Mordsee, wie sie Mutter Götrek nannte; es vollzog sich damit nur ein altes Hausgesetz -- kein Götrek lag bis jetzt auf dem Kirchhof von P... Lars war damals sechs Jahre alt, so fiel Last und Pflicht des Vaters auf den acht Jahre älteren Knut und trug nicht wenig dazu bei, den ohnehin ernsten, verschlossenen Jungen rascher zum Manne heranreifen zu lassen und den Altersunterschied der beiden Brüder fühlbarer zu machen. Knut war der Herr im Hause, das kindliche Verhältnis zur Mutter war allmählich ganz erloschen; ebenso sah Lars in ihm bald nur noch das Haupt der Familie, dem er sich willig unterordnete, zumal Knut ihm wirklich väterliche Liebe und Sorgfalt angedeihen ließ. Ja, Lars war seine einzige Schwäche; er wetteiferte mit der Mutter in Zärtlichkeit für den hübschen, sonnigen Jungen, der an Leibesgestalt und Aussehen nur ein heller, freudiger gehaltenes Bild seiner selbst war, an Sinnesart und Wesen zugleich Widerpart und Ergänzung. Die Wirkung dieses Verhältnisses konnte nicht ausbleiben. Lars gewann kein Auge für die harten Lebensbedingungen des Halligmannes, die rings um ihn die Gesichter hart, die Stirnen faltig machten, die den trotzigen Zug verliehen um den scharfgeschnittenen Mund. Für ihn war das alles nur ein lustig Spiel, das seine Phantasie erregte, das ewig drohende Meer, der Sturm, der die Firste zittern machte, die Berichte der Männer von schwerer Fahrt und Abenteuern. Er sah mit seinen blauen Kinderaugen die grünen Halligwiesen von den Silberfäden der Wattströme durchzogen, die weißen Lämmer darauf, die lustigen Möven, die drolligen Austernfischer und die flinken Seeschwalben. Er hörte an den Winterabenden in den Spinnstuben die alten Märchen und Nordseesagen: von der Jungfrau von Cordouan, vom König Abel, dem Friesenkönig, und Holger Danske, dem Riesen, von den Wogenmännern und seltsamem Meervolk. Was brauchte er da ernst zu blicken und die Stirne in Falten zu legen? Es gab ja kein schöneres, lustigeres Land als P... Daran konnte auch der düstere schwarze Turm nichts ändern an dem Westrand der Insel, gegen dessen zerfressene, von Tang bewachsene Quadern die See grollte zur Flutzeit mit weithin schallendem Getöse, von dem allerhand unheimliches Raunen ging, von bösem Spuk, und allerlei dunkle Geschichten von Seeräubern und dergleichen. Darum liebte Lars ihn geradezu. Und wenn man ihn nirgends fand, so steckte er sicher in dem alten Gemäuer, entweder in dem Schutt grabend und kratzend nach irgend einem Stück Eisen, aus dem sich seine Phantasie rasch etwas zurechtschmiedete, oder aus irgend einem Mauerloch, das er mit Lebensgefahr erkletterte, hinausträumend in die schäumende See. Knut arbeitete schwer, brachte das Heu herein, sorgte für das Vieh und die Schafschur -- da war er ihm höchstens im Wege. Nur im Boot, wenn es auf den Fischfang ging oder einer Meerfahrt galt nach Nordstrand, nach Amrum oder gar nach Beenshallig zum Möveneiersammeln, da fehlte er nie, da stellte er seinen Mann -- glaubte er. Unterdessen brachte er das Netzzeug durcheinander, spielte mit dem bunten Tand des Meeres, der sich in den Maschen verstrickte, machte Ausbeute für seine Sammlungen und vergaß über dem Seltenen das einzig Nützliche: die ihm viel zu gemeinen, langweiligen Fische, von denen einer dem anderen glich. Und Knut lachte dazu und schwitzte sich zu Tode unter dem Drucke des Netzwerkes. Der vierschrötige Mann, mit dem Geiste so zäh wie der Schlick, der die Insel umgab, mit dem dumpfen Groll im Herzen, den früher Lebenskampf verleiht, das friedliche, ewig drohende Meer, das ihm den Vater geraubt, brauchte Wärme, Licht, Sonne -- das war ihm Lars, ja mehr noch war er ihm, seine eigene verlorene oder vielmehr nie besessene Jugend. Lars war heute der erste in der Spinnstube, nicht einmal eine Segelfahrt nach der Seehundsbank bei Nordstrand, auf welche Knut ihn gerne mitgenommen hätte, sonst sein Leibspaß, zog heute. Aber es war das auch kein gewöhnlicher „Aufsitz‟, der heute zu erwarten war, bei dem man die alten und jungen Gesichter vom vorigen Jahre, nur um ein Jahr älter, zu sehen bekam, auch handelte es sich nicht um die alten Geschichten, denen er sich doch auch allmählich entwachsen fühlte, etwas ganz Außerordentliches war in Sicht, so recht etwas für den Lars. Und daß er der Einzige war, der das Seltsame so recht begriff, daß ganz P... that, als habe sich gar nichts Besonderes ereignet in den letzten Tagen, daß keine Spur von Neugierde, Spannung sich zeigte, daß der Knut ihn anknurrte: „Was kümmert's mich! Ich sehe das Wundertier noch früh genug!‟ Alles das freute nur den Lars. So ging es ihm ja immer, mit allem, er war eben ein ganz Besonderer -- und das Besondere war darum auch nur für ihn. Lars saß auf der Ofenbank und wartete. Zuerst kamen die beiden Wittrichs, zwei Prachtmädels, besonders Grete, die jüngere. Er sah sie sonst gerne, es plauderte sich von allen am besten mit ihr, und ihr Lachen klang ganz anders, als man sonst in P... gewohnt war. Heute beachtete er sie kaum. Über was sie alles zu schwatzen begann! Über das albernste, gewöhnlichste Zeug, über den Markt zu Wyk, über das Wetter, über den und jenen, über die und die -- nur über das eine kein Wort, das einzige, das von ihm so sehnsüchtig erwartete, das ganz besondere -- da hatte man es wieder! Ist das ein dummes Volk! Wie er nur darunter kam! Und andere kamen, Mädchen und Männer, Alt und Jung, und alle machten es so, keines nannte den Namen, auf den er lauerte -- auch die Mutter nicht. Zuerst erzürnte er sich über diesen Stumpfsinn; dann aber freute er sich, war er ganz stolz darauf. Sollte er selbst davon anfangen? Oder abwarten? Es litt ihn nicht länger. „Habt ihr die Hennings schon gesehen?‟ fragte er plötzlich. „Die Hennings haben wir schon gesehen,‟ meinte Grete mit spitziger Zunge, „nur _die Hennings_ nicht, die du meinst, Lars. Ist überhaupt gar keine Henning, laß dir was weismachen. Weiß Gott, wo er sie aufgegabelt!‟ „Wär' noch schöner, so ein schwarzes Ding in die Gemeinde bekommen,‟ bemerkte die Schwester. „Schwarz?‟ Lars sprang von seinem Sitze auf. „Wirklich ganz schwarz? Hast du sie denn gesehen?‟ „Alle Wilden sind schwarz,‟ erwiderte das Mädchen. Allgemeines Gelächter. „Ist ja gar keine Wilde, eine Indierin ist sie,‟ erklärte ärgerlich Lars, „und von nun an als Hennings Tochter eine P... Da ist nichts daran zu ändern.‟ „Na, na, eine P...‟, meinte die alte Götrek, „das wollen wir doch mal abwarten. So rasch geht das nicht, mein Junge! Da muß zuerst bewiesen sein, daß sie wirklich Hennings ehelich Kind. Vor allem aber, daß sie eine Christin ist --‟ „Nun, wenn sie es nicht ist, kann sie es ja werden,‟ meinte Lars lachend, „das hat der Pastor rasch. Ehelich Kind! Da mußt du den Henning selber fragen. Da drüben in Indien wird wohl etwas rascher gefreit, als in unserem Nebelland.‟ „Und das gefiel dem Herrn Lars wohl, das rasche Freien,‟ meinte boshaft ein altes Mütterchen. „Weiß man denn eigentlich etwas Näheres über die Geschichte mit dem Henning und seiner Tochter?‟ fragte einer der Männer. „Alles weiß ich,‟ erklärte Lars voll des Eifers, „der junge Märtens hat es mir erzählt, gestern in Wyk, sein Vater ist Steuermann auf dem ‚Cyklop‛, der vorige Woche den Hennings brachte.‟ Man rückte näher, ließ das Rädchen stehen, nahm die Pfeifen aus dem Munde. Lars kribbelte es in allen Knochen vor Erzählerlust. „Das war so. Vor zwanzig Jahren,‟ begann er, „da brach ein Aufstand los da drüben in Indien irgendwo, in den Bergen. Da sind nämlich Berge, hundertmal höher, wie die höchste Woge -- tausendmal, sagt der Märtens -- und in den Bergen lebt ein freies, starkes Volk, das einmal vor langer Zeit die Herrschaft hatte weit und breit, bis die Engländer kamen und sie ihm nahmen. Ein tapferer Häuptling rief das ganze Volk zu den Waffen -- Nena Sahib hieß er -- und nun ging's los! Zuerst kriegten die Engländer ihre Hiebe. Dreitausend Engländer mit Weib und Kind wurden in einer Nacht ermordet. Dann aber kam die Rache. Die Engländer warben ein großes Heer. Der Henning war damals Vollmatrose auf einem Bremer Schiff. Das lief gerade zur rechten Zeit in Kalkutta ein. Die höchste Löhnung wurde geboten, die reichste Beute versprochen. Der Henning ließ sich anwerben von dem Engländer. Und es war sein Glück. Die Aufständigen wurden geschlagen. In einer Stadt -- Dinapur heißt sie -- machten die Engländer reiche Beute, jeder Soldat bekam sein Teil. Auf den Henning traf ein schönes Mädchen -- die Sklavin eines Stammesfürsten, Nizam hieß sie -- und, nun ja, sie gefiel ihm wohl, das schwarze Ding. Er kaufte, als der Krieg zu Ende, einen kleinen Kutter von dem Beutegeld und fuhr auf eigene Rechnung. Die schöne Nizam nahm er mit an Bord, und dort schenkte sie ihm das Mädchen; fünfzehn Jahre ist es alt, sagt Märtens.‟ „Fünfzehn Jahre?‟ Grete kicherte mit den Mädchen, „also noch schulpflichtig!‟ „Und was war denn mit dem Henning?‟ meinte einer der Männer. „Wo steckt jetzt die reiche Beute von -- ich weiß nicht, wie du das nennst -- Senk--‟ „Die Beute von Dinapur? Die liegt jetzt auf dem Meeresgrund, da bei dem Kap der guten Hoffnung irgendwo, samt der schönen Nizam. Das Mädel ist wohl das einzige, was er davon mit heimgebracht! Darum schon, dächte ich -- was lacht ihr denn? Ist da etwas zum Lachen, zum Spötteln?‟ Lars' Antlitz, dessen mädchenhafte Weiße ein leiser Flaum um Lippen und Kinn zu vergolden begann, rötete sich im Unmut über die völlig unerwartete Wirkung seiner tragischen Erzählung. „Was willst du denn eigentlich mit dem Kind,‟ fragte die Mutter erstaunt, „daß du dich so ereiferst darum?‟ „Was ich damit will?‟ Er erhob sich jäh. „Schützen will ich es gegen allen Hohn und Spott, der ihr hier droht; jawohl, das will ich, verlaßt euch darauf!‟ Jetzt war er zum Küssen schön, der Lars! Wie ihm die blonden Locken in die weiße Stirn hineinfielen, und in den sonst so sanften blauen Augen ein seltsames Feuer sich entzündete. Die Mädchen lachten nicht mehr, nur Grete konnte jetzt ihren Unmut erst recht nicht unterdrücken. „Lächerlich! Wer wird denn so ein Püppchen kränken. Die läuft uns allen gut!‟ In diesem Augenblicke hörte man Tritte in dem Flur. „Da kommt er vielleicht, dein schwarzer Schatz!‟ spöttelte Grete. Doch das allgemeine Gelächter brach sonderbar jäh ab, als die Thür sich öffnete. Ein riesiger Mann beugte sich unter dem Thürpfosten. Die grobe blaue Wolle, in die er gekleidet, ließ seine Glieder noch hünenhafter erscheinen -- der Henning! „Nur immer herein!‟ rief er zurück in den Flur. Und über die Schwelle trat ein Wesen, das in diesem Raum jeden Blick bannte, ein Mädchen! Eine schlanke, geschmeidige Gestalt, die dem Riesen kaum bis an die Brust reichte, in ein grellrotes Tuch dicht gehüllt; schwarzes, fettglänzendes, geringeltes Haar umrahmte ein dunkelbraunes Antlitz, in dem zwei große dunkle Augen wie Glühwürmer brannten. Goldene Ringe blitzten in den zierlichen Ohren aus dem Haargeringel. Es war weniger Scheu, als herber Trotz, Hochmut fast, der aus diesen Augen blickte. Rasch durchstreiften sie den engen Raum, um auf Lars haften zu bleiben. Alles starrte mit offenem Munde auf die Fremde, auf die Tochter der Sklavin. Etwas Schwüles, Gefahrdrohendes war mit ihr in die friedliche Stube getreten. Man dachte unwillkürlich an Schlangen und Giftpflanzen, an all die seltsame Mär von dem Wunderlande am Ganges, die manchen Winterabend ausgefüllt. Man schloß sich enger zusammen und faßte sich bei den Händen, als wolle man einen Bund schließen gegen sie. Ein sauberes Kind! Ein nettes Püppchen! Und eine Heidin war sie sicher, so blickt kein Christenmensch! „Habt ihr euch nun satt gesehen?‟ fragte der Henning lachend. „Das ist meine Tochter ‚Nizam‛. Hab' sie schon gemeldet am Gerichte, auch bei dem Pastor. Ist alles in Ordnung, verlaßt euch darauf. Und wenn ihr gute Christen seid, woran ich nicht zweifle, so nehmt das Kind in eure Mitte auf und macht ihm die neue Heimat lieb. Es liegt ja viel dazwischen, zwischen P... und ihrem Vaterlande. Das müßt ihr wohl bedenken, wenn euch manches fremdartig scheint an ihr. Sie ist wohl das beste Ding, und sprechen thut sie, als wäre sie hier geboren. -- Na, Nizam, nur keine Scheu! Leg den roten Fetzen ab, unsere Wasseraugen vertragen nicht die grelle Farbe.‟ Das Mädchen öffnete zögernd den Schal, unter welchem sie ein schlichtes blaues Kleidchen trug. Da kam ihr Lars zu Hilfe. Er nahm das Tuch von ihrer Schulter und bot ihr Platz. Ein dankbarer Blick traf ihn. Nizam saß unbeweglich. Der Feuerschein des Ofens spielte in ihren Ohrringen. Das Gespräch stockte. Die Spinnräder schnurrten, als wollten sie das peinliche Schweigen ausfüllen. „Ihr habt schlechte Fahrt gehabt, Henning?‟ begann Mutter Götrek. „Lars erzählte uns eben von eurem Unglück.‟ „Woher weiß denn der Lars --‟ „Martens erzählte es mir, der Steuermann vom ‚Cyklop‛‟, erklärte Lars. „Ah so, der Märtens! Ja -- ja -- ich hab's fast schon wieder vergessen. Zwei Jahre sind's ja schon wieder -- was will man machen -- wie gewonnen, so zerronnen -- es hat nichts Bestand bei Unsereinem. Da -- das Mädchen ist das einzige, was mir geblieben. Fünfzehn Jahre hat's doch gedauert. Der Teufel ist nur, das Dienen schmeckt nicht mehr, wenn man so lange der Herr war. Dann kam das Heimweh! Es ist ja, recht besehen, eine Dummheit, aber was will ich draußen mit dem Mädel!‟ „Und glaubst du, daß es deiner Tochter hier gefällt, in unserem Nebelland? Das ist eine böse Sache, dächte ich.‟ „Böse Sache oder nicht, es geht einmal nicht anders. Hielt es ihre Mutter auch aus auf dem Schiff, im Norden und Süden. Sag mal, Nizam, ist's nicht schön hier bei uns -- hinterm Ofen? Wart' nur erst ein paar Wochen, wenn P... seinen schönen weißen Eisgürtel bekommt und der Schnee bis an die Knie reicht, da träumt sich's wunderschön von der heißen indischen Sonne, von Palmen und Mandragoras. Bis der Sommer kommt, hat der steife Wind dir alles Heimweh aus dem Herzen geblasen, und du bist ein Halligkind, wie die anderen auch, samt deiner braunen Haut.‟ „Das soll er aber nicht, der garstige Wind,‟ sagte Lars. „Sie wollen doch Ihr Vaterland nicht vergessen?‟ wandte er sich an Nizam. „Nein, das will ich nicht.‟ Es klang wie ein energischer Einwand gegen die Worte des Vaters. „Das freut mich, Fräulein Nizam! Brauchen auch keine Angst zu haben, es vergißt sich schwer in unserem Einerlei. Da krallt sich alles doppelt fest. Aber dann müssen Sie uns auch recht viel erzählen; ich denke mir das herrlich, wenn es draußen stürmt und schneit, von Palmenwäldern, von Tigern und Schlangen und Zauberern und all den Wundern, von denen man so liest. Ja, das müssen Sie, Fräulein Nizam. Sie hören alle gern zu. Wollen Sie?‟ „Gern -- was ich weiß -- aber es ist nicht viel, was die Mutter mir erzählt -- ich war ja noch ein Kind, als wir Indien verließen --‟ „Sie war ein Kind?‟ Mutter Götrek lachte. „Bist's ja noch.‟ „Für da drüben ist sie's nicht mehr,‟ bemerkte Henning, „da heiraten sie schon mit vierzehn. Das macht die Rasse.‟ „Heiraten, sagst du?‟ griff die Alte rasch die Wendung auf. „Sag mal, Henning, wie ist's denn eigentlich da drüben mit dem Heiraten?‟ Allgemeine Aufmerksamkeit. Alle Rädchen standen still. Henning schob die blaue Wollmütze auf die Seite und kraute sein Haar. „Je nun, Mutter, so wie in P... geht's da drüben nicht. Der Pastor hält keine langen Reden, und das Gericht -- das Gericht kümmert sich auch nicht viel darum. So eigentlich machen es die Menschen dort unter sich selber ab -- auch nicht mit langen Sprüchen und Redensarten und wie die Katze um den Brei herum -- ja, das ist schwer zu erklären -- das kommt so wie der Blitz in schwüler Gewitternacht, so gewissermaßen wie ein Überfall, raubtierartig, aber ich sage euch doch --‟ Hennings tiefblaue Augen zogen sich seltsam zusammen und die Fäuste drückten sich nervös an die Tischkante. „Nein, ich sag's euch nicht -- ihr würdet mich doch nicht verstehen, und der Pastor erst --‟. Er lachte auf. „Sag's nur, Henning,‟ meinte Mutter Götrek, „du hast schon so viel gesagt, was dem Pastor schwerlich passen würde.‟ „Ja, lieber Henning, wir bitten darum.‟ Die Mädchen wandten sich mit aufgehobenen Händen an ihn. „Es gruselt einem so angenehm, wenn Ihr so erzählt,‟ meinte das Gretchen mit feuerroten Wangen. Lars sah immer auf Nizam, welche die schwarzen Wimpern senkte bei der Erzählung des Vaters. „Soll ich's euch sagen? Ja?‟ begann Henning. „Na, dann sag ich's!‟ Er stemmte den Arm auf die Tischplatte und beugte seinen riesigen Körper vor, während auf seinem breiten Antlitz ein höhnisches Lächeln erschien. „Eure ganze Liebe, wie ihr sie hier zu Lande fühlt und treibt, von der ihr weiß Gott was glaubt, von der ihr euch zuraunt hinter jeder Thür, voll Angst und Gewissensbisse, mit der ihr umgeht wie mit einem Dieb, der sich bei Tage verstecken muß -- eure ganze Lieb, mit allem, was darum und daran hängt, ist ein armselig, schwindsüchtig Ding, so kalt und nüchtern wie ein Nebeltag, gegen die da drüben.‟ „Hört auf, Henning,‟ meinte die Mutter. „Das ist keine Rede für junge Mädchen, in meinem Hause.‟ „Ach was, sie sollen's nur hören! Was nennt man denn hier Liebe -- zum Lachen! Der Hans hat Haus und Hof, und die Marie bringt auch was mit -- also zum Pastor damit, und eher nicht aufgemuxt, bis alles richtig im Kirchenbuch steht. Da drüben, ein Blick, ein Wink mit Mund und Auge und fertig, ohne Fragen. Es muß einfach sein! Der Mond und die Sterne sind die einzigen Zeugen -- und dann die schwüle Nacht -- das Leuchten am Himmel, Glühwürmer, so groß wie ein Thalerstück -- ein Summen und Surren, manchmal ein wilder Aufschrei von irgend einem Getier -- ich sag euch, ich war ja auch nichts, als ein ausgewässerter Seebär, aber es hat mich doch gepackt.‟ „Ja, die Sünde hat dich gepackt, Henning,‟ fuhr jetzt Mutter Götrek auf. „Es ist nichts als Sünde, was du uns da sagst, nichts als eitel Sünde, vor der uns Gott bewahre in unserem Nebelland.‟ „Vor der ich vor allem _mein_ Haus bewahrt wissen will,‟ ließ sich plötzlich eine rauhe Stimme von der Thüre her vernehmen. Knut Götrek war es, der während des allgemeinen Horchens unbemerkt eingetreten war. Salziger Meergeruch ging von ihm aus, und ein grauer Dunst umgab seine ganze Gestalt. „Wem P...er Sitt' und Art nicht paßt, braucht ja hier nicht zu weilen.‟ Henning erhob sich. „Das ist deutlich genug gesagt, und recht hat er auch. -- Nur mußt du wissen,‟ wandte er sich an den Herrn des Hauses, „daß sie keine Ruhe gaben, bis alles heraus war. Da packt es mich dann, wie das Fieber. -- Komm, Nizam! Das Mädchen ist an allem schuld, ihre Augen erinnern mich an so manches.‟ Knut blickte zum ersten Male auf die Fremde. Lars hielt ihre Hand noch immer in der seinen, als wolle er sie nicht gehen lassen. Knut stutzte und trat näher. Nizam sah ihm trotzig in das Gesicht. „Wenn es so ist,‟ erklärte er dann, ohne seinen Blick von dem Mädchen zu wenden, „dann bleib nur, Henning.‟ Dann sah er auf Lars, auf die verwirrten flüsternden Mädchen. „Von wegen dem jungen Volk meint' ich nur, dem verdreht so was gleich den Kopf, mir nicht, mir gewiß nicht! Wegen mir kannst du den Teufel selber an die Wand malen! Bleib nur, Henning!‟ „Danke, Knut, für deinen guten Willen,‟ entgegnete dieser, „aber wir gehen! Ein andermal! Ich wollt' sie euch nur einmal zeigen, damit die Mädels nicht am Sonntag in der Kirche die Köpfe zusammenstecken über mein braunes Kind. Komm, Nizam!‟ Das Mädchen drückte Lars die Hand, dann folgte sie dem Vater, ohne die Übrigen zu beachten. Unter der niederen Thür blieb sie noch einmal im Dunkeln stehen, nur ihre Augen leuchteten, und die waren fest auf Lars gerichtet. Ein Blick -- ein Wink -- mit Mund und Augen -- gerade so war es, wie der Henning eben erzählte. „Was gaffst du denn, Lars? Sie sind ja schon lange fort!‟ greinte die Mutter, und die Mädchen kicherten. Da fuhr er sich mit der Hand über die heiße Stirn. Die dicke Luft in der Stube und das fahle Licht der Kerze und diese runden Gesichter mit den wasserblauen Augen! „Ein Teufelsmädel!‟ brummte Knut, ein Glas Gin aus dem Schranke holend, „wenn die nur kein Unglück anricht' den langen Winter.‟ „So eine Kaffeebohne,‟ meinte die Mutter; „wär' noch schöner!‟ Allgemeines Gelächter. „Und doch ist was daran! Mir kommt sie nicht mehr ins Haus.‟ „Das ist ja sehr christlich gedacht, Mutter, recht nachbarlich!‟ erklärte Lars, mit Mühe seine Erregung verbergend. „Was sagst du dazu, Knut?‟ „Ich?!‟ Knut machte sich überall zu schaffen, als ob er in seinem Gesichte etwas zu verraten fürchtete. „Nun, wenn die Mutter es nicht will, am Ende ist es wirklich besser.‟ „Du traust dir wohl nicht, Knut? Oh, das hast du wahrlich nicht nötig, verlaß dich darauf.‟ Lars lachte höhnisch, wie sonst nicht seine Art. Knut wandte sich jäh und trat dicht vor den Bruder. Der Lichtschein traf gerade die beiden Köpfe. Jetzt war die Ähnlichkeit eine auffallende, wie sie sich beide mit seltsam gespannten Zügen ansahen. Allen fiel sie auf. „_Wem_ ich nicht traue, ist meine Sache. Die Henning betritt nicht mehr unser Haus. Richte dich danach.‟ „Das werde ich auch, verlaß dich darauf!‟ Lars verließ mit einem herausfordernden Blick über die ganze Versammlung die Stube. Als die Leute sich verzogen -- man wollte nicht mehr in die Stimmung kommen, das fremde Arom der Nizam erfüllte noch immer die Stube -- trat Mutter Götrek in das Freie und rief nach Lars. Keine Antwort. Der Junge gefiel ihr nicht. Gewiß war er den Hennings nachgegangen. Sie bat Knut, ihn zu suchen. Ein rauher Wind blies von Westen und jagte graues schweres Gewölk von der See her, deren weiße Wogenkämme in der Ferne blitzten. Knut ging schweren Schrittes dem Hause Hennings zu. Wenn er ihn erwischte, ging's ihm schlecht. Er haßte diese Liebeleien, heute mehr wie je. Von so ein paar schwarzen Augen sich den Kopf verdrehen lassen! Da stand er schon vor dem Hause. Er schlich näher, stieg auf die Bank vor der Thüre und blickte hinein. Nizam saß am Tisch, das schwarze Haar gelöst, die Augen voll Thränen. Der Vater ging unruhig im Zimmer auf und ab. Rückwärts am Ofen saß der ältere Bruder, der Besitzer des Hauses. „Ich kenne das Muckervolk! Der Teufel hat mich hergeführt! Was kann denn das Mädel dafür?‟ polterte Henning. „Und der Winter vor der Thüre. Wo will ich denn hin?‟ „Betteln, Vater, auf der Straße frieren und hungern, nur bei diesen Menschen laß mich nicht bleiben. Ich hasse sie -- ich -- ich -- bleibe nicht!‟ Nizam sprang auf wie eine gereizte Katze und warf das Haar zurück. „Unsinn!‟ grollte der Vater. „Du bleibst wo ich bleibe. Sie meinen es auch nicht so. Die Götreks sind sonst brave Leute. Der Lars zum Beispiel, ich sah's ihm an, es that ihm leid, wie sein Bruder uns sozusagen die Thüre wies, ein guter Mensch, der Lars --‟ Nizam trocknete sich die Thränen mit dem Haar. „Das ist wahr! Ich werde es ihm auch nicht vergessen, ich hab' ihn lieb, den Lars.‟ „Sei so gut,‟ Henning blieb vor ihr stehen; „das fehlte gerade noch, du und ein Halligmann!‟ „Mit Hunden würden sie euch hetzen,‟ bemerkte der Mann am Ofen. „Das wär' wohl nicht nötig, wenn's so weit käme,‟ sagte Nizam erregt, „wir gingen schon selbst --‟ „Wie?‟ Der Alte hinten am Ofen lachte. „Du vielleicht! Aber der Lars doch nicht!‟ „Meinst du?‟ bemerkte Nizam, „nun, ich meine anders.‟ „Weibergeschwätz!‟ brummte Henning. „Nimm dich in acht! Geh in dein Bett.‟ Knut lauerte vorsichtig am Fenster, kein Wort entging ihm. Sein Auge sog sich an Nizam satt. Sein ganzes Leben lag so öde hinter ihm, wie das Watt ringsumher. Ein neues, stürmisches regte sich in seiner breiten Brust. Das Unglück war schon fertig, das er geweissagt. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter; Lars stand hinter ihm mit einem bösen Lachen. „Ei, Knut, was suchst du denn die Sünde auf in ihrem eigenen Hause, nachdem du sie aus dem deinen vertrieben?‟ „Dich sucht' ich auf, Schleicher!‟ „Schleicher? Wer schleicht denn? Du, meine ich. Daß ich nicht drinnen bin, hast du ja längst gesehen, und doch ließ es dich nicht los -- da brauch' ich mich ja gar nicht zu schämen, wenn du, der vernünftige Knut, mein Herr und Meister -- oh, jetzt sag ich's gerad heraus -- sie hat mir's angethan, die Indierin --‟ Knut packte Lars am Arm und zog ihn gewaltsam fort, als ob er dem Zauber ihrer Nähe entrinnen wollte. „Und ich sag dir‟ -- er sprach im rauhen Flüstertone, und seine Finger krallten sich in den Arm Lars' -- „ich ersäufe sie eher, als daß ich sie als dein Weib dulde --‟ „Weil du selber sie begehrst --‟ „Du lügst, weil es dein Unglück wär', deins und meins.‟ „Weißt du, was das größte Unglück ist?‟ erwiderte Lars, „so zu leben, wie ich bis jetzt gelebt, wie ein stumpfes Tier, wie ein Maulwurf, den das Licht der Sonne blendet.‟ Lars lief davon. „Gute Nacht, Knut,‟ rief er aus der Ferne, „ich kann nicht schlafen. Ich geh' in meinen Turm, zu meinen Eulen, die verstehen mich noch besser, als ihr.‟ Fort war er. Knut ging nach Hause, das schwere Haupt in hellen Flammen. Von diesem Jungen ertappt zu werden! Wie Haß war es eben in ihm aufgestiegen. Deshalb! Deshalb nur? Er fühlte das Blut in das Gesicht steigen. Sein Lars, sein Liebling! An dem er Vaterstelle vertrat seit Jahren! Und an dem allen war diese Teufelin schuld. Er entschuldigte Lars bei der Mutter, er sei nun wieder einmal auf sein Lugaus gegangen im Turm und komme gleich nach. Knut wachte noch, als Lars nach einer Stunde in die gemeinschaftliche Kammer trat, bleich und verstört. „Lars,‟ sagte er, „sei nicht böse, ich meine es ja gut mit dir. Laß das Weib, es taugt nicht für einen Halligmann. Es zehrt einem Leib und Seele auf.‟ Lars war ganz kleinlaut. Er drückte des Bruders Hand, wie er es täglich gewohnt, sprach ein kurzes Gebet, von Knuts Stimme begleitet, und kroch in sein Bett. Es war eine stürmische Nacht auf P... Der dumpfe Lärm der Brandung, das Stöhnen der Kaminen und Knarren der Schiffe unten im Wattstrom, die an den Ankerketten rissen, dazwischen der melancholische Schrei des wilden Schwanes, der scharenweise nach dem Süden zog -- das war die Melodie zu den schwülen Träumen, welche die Schläfer äfften. II Im Westen von P..., dicht vor dem alten Turm, liegt die Hallig Norderoog. Die Hennings besaßen dort Weideland, eine kleine Hütte, bisher nur den Futtervorräten dienend, stand darauf. Diese bezog der Vater Nizams für den Winter, nachdem sie einigermaßen wohnlich in den Stand gesetzt worden war. Der Aufenthalt in P... war ihnen gründlich verleidet. Der Bruder selbst machte eine bedenkliche Miene. Er war ihm zur Last mit seinem Kinde. Man sträubte sich nun einmal, dieses fremdartige Element aufzunehmen, man fürchtete es geradezu. In so reger Verbindung man durch den Beruf der Männer als Seeleute mit dem ganzen Auslande war, mit den entferntesten Ländern, so andächtig man davon erzählen hörte am Herdfeuer, nach innen schloß man sich ängstlich ab, wahrte man mit unnachsichtlicher Strenge die alten Sitten. Mochte einer ein halbes Leben lang alle Zonen der Erde durchwandert haben, wenn er zurückgekehrt, war er der Halligmann, wie er als Knabe aufgewachsen auf kahler Düne. Das Meer, das die ewige Brücke bildete in aller Herren Länder, es war auch zugleich die unüberwindliche Schranke zwischen Fremdem und Eigenem. Und vor allem waren es die Frauen, welche dieselbe heilig hielten, wohl in der instinktiven Angst, ihre Männer und Söhne nach jahrelanger Abwesenheit entfremdet wiederkehren zu sehen, belastet oder bereichert, gleichviel, durch fremde Errungenschaften. Nur ein starkes Heimatsgefühl, nur ein strenges Reinerhalten der Eigenart konnte sie vor dieser Gefahr schützen. Und nun kam der Henning mit seinem wilden, zigeunerhaften Kind, die Frucht einer Verbindung, vor der man sich eher bekreuzigen mußte, und wollte es in die Gemeinde einschmuggeln, daß es zuletzt die jungen Männer verzaubere mit seinen Hexenaugen und seinem sündhaften Gebaren. Ja, sie hat schon einen verzaubert, den Lars, den lieben, prächtigen Jungen, dem niemand feind sein konnte. Nicht mehr zu kennen war er. Und mit dem sprichwörtlichen Frieden bei den Götreks war es auch zu Ende. Die Alte sah man nur noch mit verweinten Augen. Der Knut blickte noch finsterer, als sonst seine Art, und selten sah man die beiden Brüder beisammen. Das alles begriff der Henning, und so zog er mit Nizam in die Hütte auf Norderoog. Er wollte dort nur das Frühjahr abwarten, bis die Schifffahrt wieder flott geht, dann fort um jeden Preis. Ihn selber drängte es und Nizam. Nur fort aus dem kalten Nebellande. Es wunderte ihn nur, daß sie die freiwillige Verbannung so gelassen ertrug. Ja, seitdem sie das einsame Haus bezogen, blühte sie förmlich von neuem auf, inmitten endloser Schneemassen, die sich herabgesenkt auf Land und Meer. Tagelang konnte sie am niederen Fenster sitzen und hinausstarren. Wenn er sie dann ansprach, ihr Trost zusprach, Hoffnung machte auf das Frühjahr, da lachte sie nur und tröstete ihn. Es gefalle ihr ganz gut da, seitdem sie das langweilige Volk von P... nicht mehr sehe und die dumpfe kalte Kirche und den schwarzen blassen Prediger, der sie immer so scheu angesehen, als fürchte er sich vor ihr. „Geh nur, Vater, laß dich nicht aufhalten, suche deine alten Freunde auf, ich bringe mich schon durch.‟ Und dabei sah man vom Fenster aus nichts als die öden, ungeheuren Flächen des Weltmeeres und den alten zerfallenen Turm auf P..., der schwarz und düster vom Grau des Himmels sich abhob. Aber gerade der Turm gefiel ihr, ja, er war ihr einziger Freund, wie sie dem Vater erklärte. Wenn es stürmte und wetterte, dann mußte sie über die drollige Perücke lachen aus Tang und Seegras auf seinem geborstenen Kopfe, über das flatterige Zeug, das ihm aus allen Rissen und Spalten wuchs, das ihm das Ansehen eines zerlumpten Bettlers gab, während Möven, ihr gelles Geschrei ausstoßend, ihn umkreisten, die Wogen an seinem mächtigen Unterbau sich brachen, gierig ihre weißen Zungen immer höher reckend, und die bunten Algen und Schwämme, welche ihn, soweit die schwarze Feuchte reichte, umklammerten, glitzerten und gleißten vom triefenden Meerschaum. Schien die untergehende Sonne darauf, dann glühte und wallte es in ihm wie von unsichtbaren Feuern, die weißen Möven durchschnitten wie selige Geister in sanften Schwingungen das flammende Licht; in seinem geheimnisvollen Schlund, in welchen da und dort hohe Bogenfenster, willkürlich eingefügt, Einblick gewährten, spielten seltsame violette Lichter; oft kräuselte es sich heraus, wie feindurchglühter Rauch, bis plötzlich wieder alles erlosch, der Koloß im kalten blauen Licht erstarrte. Am liebsten aber war er Nizam, wenn oft wochenlang rings dichter Nebel sich breitete, der bei jedem Atemzug im Freien ihre Kehle stach und ihre zarten Händchen erstarren machte. Da wuchs er in das Unendliche; jede Einzelnheit verschwand, jede Form zerfloß, etwas Riesiges, Märchenhaftes stand da drüben, ein graues Dunstgebilde, das bald in allen Weiten sich verlor, bald greifbar nahe trat, als wolle es zu ihr in die Stube treten. Ja, oft nahm er jede Gestalt an, die Nizam sich dachte. Bald war er ein riesiger Mann, der die Arme nach ihr breitete, bald ein stattliches Schiff, dessen Masten in den Nebel ragten, bald ein Baum, bald irgend ein Fabeltier. Sie konnte nicht satt bekommen an der ständigen Wandlung. Nur wenn das Mondlicht ihn beschien, hier grelle Lichter zauberte, dort schwere, schwarze Schatten, da schien er ihr unendlich traurig in seinem Zerfall, in seiner Verlassenheit, daß ihr oft die Thränen in die Augen kamen; dann aber wieder schreckte sie sich vor ihm, so drohend düster erschien er ihr, so recht ein Abbild des feindseligen Landes, in das sie der Vater geführt. Das war aber nur, wenn der Mond schien. Heute schien der Mond nicht, stürmisch war es auch nicht, und die Sonne war längst untergegangen. Dicke, schwarze, lautlose Nacht umpreßte das kleine Haus auf Norderoog, nur der Schnee warf dicht am Boden einen bleichen Schein, und doch saß Nizam schon stundenlang am kleinen Fenster und starrte hinaus in die Leere. Sie war allein; nein, nicht ganz allein, ihr alter Freund Babe kauerte auf der Stange, den Kopf zwischen den Flügeln, ein Kakadu. Das dritte lebende Wesen, welches vor zwei Jahren dem Schiffbruch entgangen. Die Mutter hatte ihn selbst aufgezogen. Es war die letzte Erinnerung an die Heimat. Oft schwatzte sie mit ihm stundenlang, und er sah sie dann so traurig von der Seite an mit seinen schwarzen Augen. Er hatte wohl auch Heimweh nach dem Sonnenland, obwohl er wie sie auf dem Meere aufgewachsen, im dumpfen Schiffsraume, und von Palmenwäldern und Lotosblumen so wenig wußte, wie seine Herrin. Sie liebte ihn doppelt, seit sie sich in diesem Lande befand. Sie liebte den rosigen Schimmer seines Gefieders, der so lebhaft abstach gegen alle die kalten, nüchternen Farben ringsum. Sie liebte seinen Zorn, wenn er den Kamm spreizte und die Augen boshaft rollte. Sie liebte selbst sein unharmonisches Gekreische; es war wenigstens eine Stimme in dem ewigen Schweigen ringsum. Sie hatte gehört, daß er in dem Boudoir der Reichen zum Schmuck und Spielzeug diene, in goldenen Käfigen wohne. Auch das reizte sie, und sie schwelgte in Bildern von Pracht und üppigem Wohlleben inmitten der kahlen Dürftigkeit um sie her. Auch sie war jung und schön und wollte sich schmücken, das Leben genießen. Ohne daß sie je einen Blick geworfen in diesen Lebenskreis, sehnte sie sich danach, formten sich in ihr phantastische Bilder davon -- und Babe, der Kakadu, mußte ihr dazu verhelfen. Jetzt leuchtete sein weißes Gefieder durch den dunklen Raum. Nizam hatte kein Licht angezündet. Nizam träumte. Von Lars träumte sie, dem blonden Jungen. Einen Tag nach dem verunglückten Besuche bei Götrek hatte sie ihn getroffen, als sie in der Dämmerung nach Hause ging. Er hatte ihr den Weg abgepaßt, er konnte nur wenige Minuten verweilen, der böse Bruder bewachte ihn, ihr ärgster Feind; aber in diesen wenigen Minuten sprach er Worte zu ihr, die sie erbeben machten. Worte, die ihr plötzlich das ganze Land ringsum anders erscheinen ließen, durchaus nicht mehr kahl und traurig. Worte, die sie nie vernommen: daß er sie liebe, daß er nicht mehr leben könne ohne ihren Anblick, daß er bis an das Ende der Welt ginge für sie, daß ihm sein elterliches Haus, der Bruder, die Mutter, alles verhaßt sei, wenn sie fortgehe. Zuletzt küßte er sie! Und er war schön, wie der Prinz aus dem Märchen, welches die Mutter auf dem Schiffe erzählte. Soviel sie sich erinnern konnte, hatte sie kein Wort gesprochen. Das verdroß sie, als er fort war, es verdroß sie auch, daß sie sich hatte küssen lassen, ohne sich zu wehren. Der Mensch glaubt wohl, bei dem armen fremden Mädchen, die alle verachten, von sich weisen, braucht er nicht lange zu fragen. Ihr Stolz erwachte, etwas wie Haß gegen diesen blonden Mann, der ihr doch so fremd, so feindlich schien, wie alle die Männer hier zu Lande. „Im Turme, die erste finstere Nacht, wenn du Licht siehst --‟ flüsterte er hastig und entfloh. Ein Mann kam des Weges, Knut, sein Bruder; er suchte ihn wohl, wollte nicht, daß er mit der Fremden zusammenkam. „Hast du meinen Bruder Lars nicht gesehen?‟ fragte er im barschen, verächtlichen Tone. „Was kümmert mich dein Bruder, ihr alle! Ich verachte euch, wie ihr mich verachtet.‟ „Ich verachte dich nicht -- _ich_ nicht,‟ flüsterte er dann und beugte sich vor, sie zu haschen. Es war ein ganz anderer Ton der Stimme, gerade so, wie Lars sprach -- da floh sie lachend. Er rief noch zweimal ihren Namen, ganz weich und zart, wie ein Mädchen, der grobe Knut. Das machte ihr Spaß. Ein Gedanke kam ihr. „Mit dem Haß ist es nicht so weit her, bei den Männern wenigstens nicht. Ich gefalle ihnen wohl.‟ Die ganze Nacht dachte sie darüber nach und fand keinen Schlaf. Drei Wochen waren darüber vergangen, seit sie in Norderoog war, daß sie Lars nicht mehr gesehen, überhaupt keinen Mann, außer dem Vater. „Im Turme, in der ersten finsteren Nacht, wenn du Licht siehst --‟ Wie oft tönten die Worte in ihrem Ohr. Heute war die dritte finstere Nacht. Sie ging ja nicht -- aber doch wollte sie das Licht sehen im Turme, ihn drüben wissen, den Lars. Er fürchtete wohl den Bruder, den bösen Knut, der alle Weiber verachtet, wie ihr der Vater zum Troste damals sagte, als er ihm und ihr die Thüre gewiesen. Das wußte sie besser! Sie seufzte schwer auf in unklarem Verlangen. „Babe, mein Liebling! Wo ist mein süßer Babe?‟ Babe erwachte, schlug unruhig mit den Flügeln und kreischte auf. Sie ging zu ihm, streichelte ihn, und Babe rieb sein Köpfchen an ihrer Brust. „Larrrs!‟ Ganz deutlich rief er den Namen, von dem ihr Herz voll war. Oft genug hatte sie ihm denselben vorgesprochen, aber so deutlich schnarrte er ihn noch nie. Sie kraute ihm zum Danke das Köpfchen. „Larrrs! Larrrs!‟ Da floh ein feiner, zitternder Lichtstrahl durch das Dunkel der Stube, er spielte in dem Perlauge Babes. Sie eilte an das Fenster. Ein rotes Fünkchen schwamm in der schwarzen Nacht. Bald zog es sich zusammen zu einem leuchtenden Punkte, bald vergrößerte es sich. Plötzlich sank es, wie ein fallender Stern, blieb wieder stehen -- im Turme! „Larrrs! Larrrs!‟ schnarrte Babe. Nizam schlug stürmisch das Herz, pochten alle Pulse. Was willst du von ihm? Was will er von dir, der Verachteten? Sein Spiel treiben, weiter nichts! Aber seine Stimme klang so weich, und die blauen Augen blickten so treu -- und hier war es so kalt und tot und -- da drüben im Turme lockte das Leben, war ein Mensch, der sie lieb hatte, der einzige Mensch weit und breit. Sie warf ein Tuch um. Nachsehen wollte sie wenigstens, ob es keine Täuschung war. Der schmale Wattstrom, der Norderoog von P.... trennt, war fest gefroren, in wenigen Minuten war sie drüben. Babe spreizte die Federn, stellte den Kamm auf und rief immer zorniger: „Larrrs! Larrrs!‟ Sie eilte in die Nacht hinaus. Kein Lüftchen regte sich, nicht die Hand vor den Augen war zu sehen, nur das Fünkchen, jetzt ganz ruhig, stand hoch über der Erde. Das Eis stöhnte und knallte. Ihr kleiner Fuß berührte es kaum, hier und da erhob sich ein unsichtbarer Vogel mit schwerem Flügelschlag, den sie in seiner Ruhe gestört. Das Fünkchen leitet sie. Allmählich vergrößert es sich, ein Fensterbogen trat aus dem Dunkel, der feurige Schein gaukelt über zerfallenes Mauerwerk. Der Turm hob sich aus der Nacht, ihr alter Freund! „Lars!‟ rief sie mit trockener Kehle. Das Licht bewegt sich. „Nizam, ich komme!‟ Sie wartete vor dem gewölbten Eingang und starrt hinauf in den schwarzen Bauch des Turmes. Angst erfaßte sie, heimliches Grauen -- Da gaukelte der Stern herab, den Windungen der Treppe nach, der Blondkopf Lars' erschien in seinem grellen Schein. „Nizam, bist du's wirklich?‟ Er wollte sie umarmen. Sie wich zurück und schlang das rote Tuch dichter um sich. „Komm herauf! Ich habe dir ein warmes Stübchen bereitet, fürchte nichts.‟ Nizam zögerte. Sie reizte sich selbst zum Haß gegen diesen Mann. Mit seinem weißen, blühenden Antlitz, dem rötlichen Bartflaum um die roten Lippen, mit seinen mächtigen Gliedern in der blauen Wolljacke, den plumpen Stiefeln, war er das Abbild dieses verhaßten Volkes. Gerade so sahen sie alle aus, wenn sie Sonntags in die Kirche gingen, gerade so sah der Knut aus, der sie aus seinem Haus getrieben. Was war denn nun an diesem Lars anders? Daß er sie liebte? Das that der Knut ja auch, und beide sind zu feig, es offen einzugestehen. Beide wollten sich ihre Liebe stehlen in finsterer Nacht, von niemandem bemerkt. Oh, die wenig Wochen haben sie alt und klug gemacht, hatten das Weib geweckt in ihr. Das alles dachte sie in diesem Augenblick. Da faßte er sie am Arm. „Was hast du, Nizam? Warum bist du gekommen -- wenn du dich so vor mir fürchtest? Ich fürchte mich vor dir! Vor deinen schwarzen Augen! Vor deinem ganzen Wesen, das mir so fremd und doch -- -- komm! Ich will ja nur mit dir plaudern! Vielleicht zum letztenmal! Ich werde streng bewacht! Heute ist Knut in Amrum über Nacht, und die Mutter schläft. Wenn wir's versäumen -- die Gelegenheit kommt so bald nicht wieder.‟ Da folgte sie ihm. Der Frost schüttelte sie in dem kalten Gemäuer. Die morsche Treppe ächzte und wankte unter seinem schweren Tritt. Fledermäuse umflatterten das Licht, das wie eine Morgenröte seinen Schein aufwärts warf in die schwarze Höhlung. Zerfallene Gänge, aus denen widrige Luft strömte, führten seitwärts, verloren sich in kurzen Windungen. Da und dort blitzten massive eiserne Ringe in der Mauer. Lars öffnete eine verrostete Eisenthüre. Nizam staunte. Ein kleines, viereckiges Gemach lag vor ihr. Matten, Wolldecken verkleideten die Wände. Auf einem eisernen Rost brannte ein Kohlenfeuer, den ganzen Raum erwärmend. Ein behagliches Nest inmitten all des Moders. Lars freute sich über ihr Staunen. „Nun, was sagst du jetzt? Es hat mir wahrlich Mühe genug gekostet, das alles zusammenzustehlen. Ist das nicht ein lauschiges Plätzchen? Friert dich noch? Fürchtest du dich noch?‟ „Nicht, solange du sprichst. Nur sprechen mußt du, Lars, sonst fürchte ich mich.‟ „Sprechen? Oh, das kann ich, hab' keine Sorge. Setze dich nur! Hast du Hunger? Durst? Ich hab' für alles gesorgt. Die Seeräuber, die hier einst hausten, waren nicht besser eingerichtet.‟ „Nein, mich dürstet und hungert nicht. Erzähle mir von den Seeräubern, Lars, ich bitte dich,‟ -- Nizam kauerte sich an das Feuer. Ihr Blick ruhte scheu auf Lars. Und Lars erzählte von den Wogenmännern, die hier gehaust und ihre Beute geborgen, die kostbarsten Schätze, -- von Kressen Jacobs Söhnen, die von hier das ganze Meer beherrscht, von den Festen, die sie hier gefeiert mit ihren Geliebten, die sie sich hierhergebracht aus fernen Ländern, und wie das alles zuletzt endete, in Blut und Tod, -- wie Cort Wittrich, der letzte, der Schrecken aller Inseln des Nordmeeres, den verdienten Tod fand von der Hand der wackeren Strander und Eiderstedter, die den Turm belagerten. Nizam hörte gespannt zu, ihre braunen Wangen glühten, und in ihren Augen spiegelten sich alle die lebendigen Vorgänge von neuem ab, das üppige Gelage der Räuber, das lüsterne Lachen der Mädchen, das Kampfgeschrei der Sieger, die Flammen der brennenden Burg -- und glühendes Verlangen sprach daraus nach Erlebnissen, was es auch sei, nur nicht diese tödliche Ruhe, nur Leben -- Leben! Ihr stummer Eifer riß Lars immer weiter. Er ahnte ihr Sehnen. „Glaubst du nicht, daß ich dir zu Liebe auch so ein Räuber werden könnte, der die Schätze aller Länder dir zu Füßen legt? Gewiß könnte ich es! Alles, was du verlangst --‟ „Ja, das wäre schön! Du draußen auf dem Meere, der Schrecken all der bösen, verhaßten Menschen, ich hier in dem Turm. Ich erwarte dich dort am Fenster, ich sehe deine Segel leuchten, ich winke dir zu mit dem roten Tuche. Dein Schiff ist voll Gold und Edelgestein und kostbaren Gewändern -- du kommst und schmückst mich zur Hochzeit! Alle die Menschen beugen sich vor dir und mir, wie vor einem König, und der Turm wird ein marmorner Palast, wie ich ihn als Kind gesehen an dem großen Fluß in meiner Heimat. Und dann beginnt für uns erst das Leben.‟ Nizam glühte in dem kindischen Traum, von Feuersglut umwallt, und Lars, der arme, blöde Lars, der bis jetzt nichts gesehen von der Welt, als die rauhe Dünung und das öde Wattenmeer, Nebel und Wolken, der solche Dinge wohl geträumt, aber nie die Worte dazu gefunden in seiner harten armen Sprache, kniete zu ihren Füßen. „Und du würdest mich lieben in dem marmornen Palast, nicht wahr?‟ „Ja, das würde ich, Lars, heißer, glühender, als je ein Mann geliebt wurde, in eurem kalten Land --‟ „Und jetzt in dem alten Turm, -- liebst du mich nicht?‟ „Lars!‟ Zwei geschmeidige Arme umschlangen ihn, schwarzes, duftiges Haar fiel über sein Antlitz, und zwei Lippen preßten sich auf die seinigen -- und das Gemach drehte sich, und die farbigen Muscheln, das krause Spielzeug des Meeres, das, von ihm gesammelt, in allen Ecken lag, leuchtete und glühte wie Edelgestein. Plötzlich erwachte er aus seinem Taumel. „Sieh' dort, Nizam!‟ Er wies auf das Bogenfenster. Der Mond war aufgegangen und leuchtete als weiße, strahlende Kugel durch den Nebel, der in durchsichtigem, flüssigem Schleier an ihm vorüberzog. Land und Meer war in lichtvollem Dunst zerflossen. Alles wie entkörpert, schemenhaft, -- die Häuser auf den Werften, -- die weißen, unendlichen Schneeflächen der Wiesen, -- die schwarzen Klippen an der Landspitze, und weit draußen das Meer, das sich mit sanftem Rauschen an dem Eisgürtel der Insel brach. Lars fühlte seine schwere Zunge gelöst. „Was brauchen wir einen Marmorpalast und Gold und Edelgestein? Ist's hier nicht schön genug? Gehört die ganze Pracht da draußen nicht uns? Wird der alte Turm da nicht zum Palast, wenn wir uns nur lieben?‟ „Sie dulden es aber nicht, daß wir uns lieben!‟ Nizam schmiegte sich innig an ihn. „Dein Bruder, deine Mutter, alle --‟ „Dann verlassen wir alle, -- fliehen wir --‟ „Wohin?‟ „Wohin du willst, die Welt ist groß. Ich will arbeiten, kämpfen, das Glück suchen, das Gold, das du so ersehnst. Alles will ich thun für dich.‟ „Was hilft das Wollen, wir sind beide arm. Im Frühjahr muß ich fort mit dem Vater --‟ „Geh' nur fort, ich werde deine Spur nicht verlieren. Ich werde dich wiederfinden, ich werde reich sein, wenn ich dich wiederfinde, ich werde alle deine Wünsche erfüllen können. Lach' mich nicht aus, Nizam, ich bin stark und klug, und vor allem habe ich Mut!‟ „Ich lache dich nicht aus, ich lache nur, wenn ich denke, wie es kommen wird, -- ganz anders. Du wirst einen langen roten Bart bekommen, du wirst ein braves Halligmädchen heiraten, Grete Wittrich, oder so eine, du wirst die Schafe hüten auf den Wiesen und fischen im Wattstrome und handeln in Amrum wie dein Bruder Knut, und wirst gar nicht mehr an das braune Mädchen denken im alten Turm, an das Kind der bösen Hexe aus dem Zauberland, -- so wird's kommen, Lars.‟ „Ehe es so kommt, das schwöre ich dir, finden sie einmal draußen am Strand einen Mann, dem der rote Bart noch nicht lang gewachsen ist. Warum hast du mich so angeblickt, als du zum ersten Male unser Haus betratest? Warum hast du dich küssen lassen, als ich dir begegnete? Warum kommst du heut hierher, wenn du mich nicht wirklich liebst? Oder willst du mir wirklich nur Leib und Seele verzehren, wie Knut sagt? Bist du wirklich eine Hexe, wie die Leute alle glauben? Ein Kind der Sünde, wie der Pastor meint?‟ „Glaub' es und geh'!‟ Nizam sprang jäh auf, wie eine wilde Katze. Lars zögerte einen Augenblick, sah sie erschreckt an; es war ihm, als höre er die warnende Stimme seiner Mutter, Knuts -- es war wirklich ein weiblicher Dämon, der da vor ihm stand, in das rote Manteltuch gehüllt, aus diesen Augen loderte wirklich die Sünde; dann aber stürzte er sich auf sie, von einer zornigen Leidenschaft erfaßt, und preßte sie in seine starken Arme. Der Duft ihres Haares betäubte ihn, die Glut ihres Körpers versengte sein Gehirn. Der rote Mantel umhüllte ihn wie eine Flamme. Und draußen brauten die kalten Nebel und verlöschten von neuem den Mond, Land und Meer in schmutzige, feuchte Finsternis hüllend. Auf dem Kirchhof zu P..... schlug es elf Uhr, als Lars mit Nizam in das Freie trat. Ein steifer Wind hatte sich erhoben. Lars hielt die Geliebte fest im Arme, als er mit ihr den Wattstrom überschritt, um sie nach Hause zu geleiten. Einmal schreckte Nizam zusammen und blieb plötzlich stehen. Es war ihr, als habe sie in der Richtung nach ihrem Hause einen Lichtstrahl beobachtet, der sich durch den Nebel rang. O, es war wohl nur Täuschung, die Nachwirkung des hellen Feuers im Turme, in das sie so lange geblickt. Sie sprachen kein Wort. Es war zu herrlich, dieses schweigende Wandern in der grauen Leere, gerade als ob sie ganz allein auf der weiten Welt wären. Sie verzögerten ihre Schritte. Über das ganze Meer hätten sie so wandern mögen, dicht aneinander gedrängt. Plötzlich fühlten sie Land unter ihren Füßen; Norderoog war erreicht, und dort hob sich schemenhaft ein schwarzes Etwas aus dem Nebel -- die Hütte Hennings! Lars schüttelte jetzt der Frost. Der Traum war zu Ende, er mußte zu Ende sein, er durfte das Haus nicht betreten. Er wollte sich rasch entfernen, ohne lange Abschiedsworte. Es war besser so. Er löste den Arm Nizams, der um seinen Hals lag, -- da vernahmen sie beide deutlich ein Geräusch von der Hütte her, das Zufallen oder Öffnen einer Thüre. Sie standen still, horchten lange. War der Vater zurückgekehrt? Licht brannte keines. Nizam klammerte sich fest an Lars. Wieder das Geräusch. „Wenn es dein Vater ist, -- ich fürchte mich nicht vor ihm, er soll alles wissen, besser sogar --‟ flüsterte Lars. „Wenn er es aber nicht ist?‟ fragte Nizam zitternd, „dann ist's jemand, der nichts Gutes will, -- dann komme ich gerade recht.‟ Ein wilder Thatendrang stieg in diesem Augenblick auf in dem erregten Jüngling, der Drang, sich als Mann zu zeigen vor ihren Augen. Irgend etwas bewegte sich in der Dunkelheit, löste sich von der dunklen Masse des Hauses. „Halt!‟ schrie Lars. „Wer da?‟ Keine Antwort. Er trat vor, Nizam fest im Arme, die Faust am Messergriff im Gürtel. Eine riesige Gestalt stand vor der Thüre des Hauses, regungslos. Nizam schrie auf. Lars zog das Messer und sprang vor. Knut stand vor ihm. „Schandbube! Hab' ich dich erwischt? Wart', ich will dir, mit Dirnen herumstreichen die ganze Nacht.‟ Er drang mit erhobener Faust auf den Bruder ein. „Knut, ich warne dich!‟ Lars zuckte das Messer in blinder Wut, -- da fühlte er schon seinen Arm gepackt mit eisernem Griff. „Oh, ich glaub' es dir, wer einmal so weit ist, wie du, der ist zu allem fähig. Jetzt marsch nach Hause.‟ Er stieß Lars zurück, daß dieser in den Schnee taumelte. „Und du,‟ wandte er sich an das Mädchen, „ich warne dich -- wenn du dem Burschen keine Ruhe läßt -- mußt du fort. Ich sorge dafür. Verlaß dich darauf, Dirne!‟ Nizam lachte gell auf. Es schien aus keinem Mädchenmunde zu kommen, dieses Lachen. „Du sorgst dafür? Wer bist denn du? Knut Götrek! Ein verliebter Narr, den die Eifersucht hierher getrieben. Aber ich hasse dich ebenso, wie ich deinen Bruder liebe. Jetzt weißt du's -- und kannst gehen! Jawohl, blick' nur nicht so grimmig! Ich fürchte dich nicht, dich nicht und die anderen.‟ Sie sprang an Knut vorbei ins Haus. „Gute Nacht, Lars! Lach' ihn nur tüchtig aus! Ich bleib' doch dein Schatz, und wenn sie die Hölle loslassen gegen mich.‟ Die Thür fiel in das Schloß. In der Stube drinnen kreischte Babe aus Leibeskräften: „Larrrs! Larrrs!‟ Lars hatte sich aus dem Schnee erhoben. Die beiden Brüder standen sich gegenüber. „Hast du's jetzt gehört? Sie haßt dich! Oder willst du vielleicht die Nacht vor ihrer Thüre zubringen?‟ Knut hob die Fäuste gegen ihn. „Mach' dich fort!‟ Lars wich unwillkürlich zurück. Furcht packte ihn. Knut trieb ihn vor sich her, über das Eis, P..... zu. Plötzlich blieb er stehen. Aus dem Turme brach der letzte schwache Schein des verglimmenden Kohlenfeuers in Lars' heimlichem Versteck. Knut bekreuzigte sich. Es gingen unheimliche Gerüchte. Schweres Unglück drohte, wenn sich ein Licht zeigte im Turme von P..... Nizam hieß das Unglück, für ihn wenigstens, sie mußte fort, um jeden Preis. Als er wieder nach Lars blickte, war dieser im Nebel verschwunden. Wohl wieder zurück, zu der Hexe. Er zögerte, ob er nicht umkehren sollte. Sie würden ihn nicht einlassen, ihn verhöhnen, dann geschah ein Unglück. In düstere Gedanken versunken schritt er seinem Hause zu. Als er in den Schlafraum trat, erhob sich Lars von seinem Lager. „Woher kommst denn du mitten in der Nacht?‟ Knut rieb sich die heiße Stirn, sein Blut pochte stürmisch in den Adern wie noch nie -- hatte er das Fieber? Träumte er? Rasch faßte er sich wieder. Er war ja noch ein Kind, der Lars -- _sein_ Kind, das er doch liebte wie ein Vater. Mitleid faßte ihn mit dem bethörten Jungen. Hatte es ihn doch selbst gepackt, die häßliche Glut, die er stets so verachtet. „Ich komme von einem Ort, an dem die Sünde lauert auf mein Liebstes! Ich lasse es ihr aber nicht, ich ersäufe sie eher! Im Turm von P..... zeigt sich ein Licht, -- ich kenne das Unglück, das es bedeutet, Lars --‟ „Und ich kenne das Licht und kann dir nur sagen, es hat mit einem Unglück nichts zu thun, im Gegenteil! Es sind die besten Geister, die da oben hausen --‟ Das war deutlich genug für Knut. Das war also ihr Liebesnest! Wilde Eifersucht, Haß und Neid stieg in ihm wieder auf, bei den Bildern, die sich jetzt in seinem Hirn woben. „Na warte, ich werde sie schon ausräuchern, deine guten Geister,‟ sagte er in völlig verändertem Tone, das Licht auslöschend, „gründlich, verlasse dich darauf!‟ „Hilft nichts,‟ kicherte Lars. „Geister sind ja selbst Rauch, und der kommt überall heraus und hinein.‟ Knut antwortete nicht mehr. Lars wurde es ganz bange in der schweren Finsternis. Es war ihm oft, als strecke sich eine Hand nach ihm aus, als spüre er Atem vor seinem Antlitz. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. „Knut! Knut!‟ rief er dann plötzlich angstvoll, „schläfst du?‟ Keine Antwort. Er zog die Decke weg, unter die er sich gesteckt, und starrte hinüber zu dem Bruder. Ein roter Schein fiel zum Fenster herein, gerade auf sein Antlitz. Die Stirn war in herbe Falten gezogen, der Mund trotzig zusammengepreßt, die Fäuste lagen geschlossen auf der Brust. Schweres Stöhnen entrang sich ihr. Was war das? Brannte das Haus beim Nachbarn? Er schlich an das Fenster. Hoch in der Luft loderte eine Flamme, ihren Schein weithin werfend über die Schneefläche der Insel. Der Turm brannte! Lars' Liebesnest! Eine brennende Kohle war wohl aus dem Becken gefallen und hatte die Matten entzündet. Lars starrte atemlos darauf. In wenig Minuten erlosch mit einem Schlage das Feuer. Es bot sich ihm keine weitere Nahrung in dem alten Gemäuer. Schwarz, drohend lag es wieder da in der jetzt nebelfreien Nacht, -- und auch Knuts drohendes Antlitz war wieder verschwunden. Wenn er doch recht hätte mit dem Unglück, -- wenn sie wirklich eine Hexe wäre? Er kroch in das Bett. Eine süße -- liebe Hexe -- ja, das war sie -- eine liebe Hexe -- III Der Winter war ausnehmend mild, der Eisgürtel, der sich um die Insel gelegt, riß immer wieder und ließ die freie See herüberblitzen. Oft lag wochenlang kein Schnee, und die Hallig machte Miene, neu zu grünen im warmen Sonnenschein. Doch diese launische Milde der Natur änderte nichts an den harten, knorrigen Menschen, welche gewohnt waren, eher eine neue Tücke dahinter zu vermuten. Es war derselbe ernste, traurige Halliger Winter, der sich zwischen den engen Stuben und dem Predigerhaus abspielte. Von der indischen Hexe war gar nichts zu sehen und zu hören, aber um so mehr gab es drüber zu munkeln und zu deuteln. Da brauchte man sein Auge ja nur auf die Götreks zu richten. Nichts stimmte mehr in dem ganzen Hause, seit das Teufelskind die Diele betreten. Der starke Knut schmolz förmlich zusammen wie ein Wachslicht, den Kopf, der ihm sonst so steif im Genick saß, trug er jetzt gebeugt, als habe er etwas verloren auf dem Wege, und der frohe Lars, der unermüdliche Sänger, ging jetzt schweigend umher, die Hände in den Hosentaschen, unsteten Blickes, ohne Gruß, ohne Lied, nicht mehr zu kennen. Mit der sprichwörtlichen Eintracht der Brüder war es auch vorbei, selten sah man sie mehr zusammen, und die Spinnabende bei Götreks waren abgeschafft, die gemütlichsten in der ganzen Runde, -- die Alte könne den Lärm nicht mehr vertragen, hieß es. Doch man wußte es besser: die schwarze Hexe war an allem schuld, die hat den Unfrieden gebracht in das Haus, in das erste und letzte Haus, das sie betreten, seitdem sie auf der Insel war. Was sie nur trieb in der verfallenen Hütte auf Norderoog? Diese ständige Verborgenheit war fast noch unheimlicher als ihre Gegenwart; mit geheimem Grauen blickte man oft hinüber auf den feinen Lichtstrahl, der in den langen Winternächten herüberzitterte. Einige Male wollte man denselben sich fortbewegen gesehen haben, langsam in die Höhe steigen und dann plötzlich verschwinden, -- dann ging sie wohl in den Turm, von dem allerlei unheimliche Gerüchte und Sagen gingen, zum Schatzgraben oder anderem teuflischen Unfug. Nur einmal wagte sich ein Bursche in einer dunklen Nacht hinüber zum Kundschaften -- und was sah er durch das niedere Fenster? Die Schwarze lag auf einer Bank, das Haar gelöst, und auf ihrer Brust saß ein großer weißer Vogel mit feurigen Augen, wie man ihn hier zu Lande nie gesehen, der mit einer menschlichen Stimme in sie hineinsprach. Und sie lachte und spielte mit ihm. Der Nächste aber, der das Märchen nicht glauben wollte und sich vornahm, demselben auf den Grund zu kommen, fühlte sich, in dunkler Nacht die Hütte umschleichend, plötzlich mit rauhem Griff gepackt und so jämmerlich verprügelt, daß er, ohne nur den Versuch zu machen, sich nach dem Angreifer weiter umzusehen, die Flucht ergriff, -- aber so etwas wie große Vogelkrallen waren es, das behauptete er fest, die er im Nacken gespürt. Seit der Zeit hatte die Hütte in Norderoog Ruhe vor allen Spähern. Lars aber nützte die wochenlang schneelosen Pfade, die seine Spur nicht verrieten, zu seinen heimlichen Besuchen, die der alte Henning schon aus Haß gegen die feindlichen Götreks und allen übrigen Widersachern seines Kindes eher unterstützte, als hinderte. Nizam vergaß ganz, daß Winter war draußen. Der weiße, blonde Knabe, der ganz in ihrem Banne war, ein Spielzeug in ihren übermütigen kleinen Händen, aus dessen wässerigen blauen Augen ein seltsames Feuer brach, gefiel ihr immer mehr. Sie blühte auf wie eine Wildrose in dem engen Raume mit seiner schwülen Treibhausluft, die dunkle Erinnerungen in ihr emportrieb, während sie Lars, den Nordseemann, immer mehr erschlaffte, seine Wangen bleichte, die sonst der Meersturm gerötet. In dem abenteuerlustigen Henning, den das Geschick auf allen Meeren umhergetrieben, erzeugte diese Winterruhe die tollsten Pläne, und er zögerte nicht, sie mit dem jungen Paare zu besprechen. Da war nichts unmöglich, alles zu erringen, zu erreichen. Wenn er auch sein ganzes Leben lang Pech gehabt, er wolle den P.....er Schlafmützen schon noch zeigen, zu was er fähig sei. Alle Meere, alle Länder mit ihren geheimen Schätzen tauchten auf vor dem atemlos lauschenden Lars, nichts schien unmöglich, nichts zu gewagt, tausendfältig winkte das Glück, der Reichtum, und die Heimat erschien dagegen in grauer, hoffnungsloser Öde. Wenn das Frühjahr kam, ging es los. Hennings Schiffbruch war kein so vollständiger, als er den Leuten glauben machte, er hatte schon noch etwas gerettet, um von neuem anfangen zu können. „Und Lars geht mit,‟ sagte dann Nizam, „oder willst du wieder die Gänse hüten und Krabben fangen mit deinem Knut?‟ Da stieg ihm das Blut in das Antlitz, und er schwur Henning, daß er ihm dienen wolle, wie ein Knecht, treu und ehrlich, wie je ein Halligmann. Oh, wenn nur das Frühjahr schon da wäre! Und es kam jähe in wildem Ansturm, wie man es schon gewohnt hier zu Lande, mit Wogengischt und Sturmgebraus, als ob es gelte, den grimmigsten Winter auszupeitschen. Neues Leben zog ein in P....., überall wurde gestrichen, geteert, frisch aufgetakelt, der Wandertrieb regte sich in all den breiten Männerbrüsten. Selbst Knut erwachte und pfiff und sang leise vor sich hin, rüstete seine Boote im Wattstrome, und Lars half ihm dabei, mit einem ihm fast ungewohnten Eifer. Das war's wohl, was Knut mehr freute, als Frühjahr und Meerfahrt. An die Stelle des Zorns über den leichtsinnigen Lars, der sich von der Indierin den Kopf verrücken ließ, war längst das Mitleid getreten mit dem Liebling, den er aufgezogen wie ein zweiter Vater, ein herber Kummer -- hatte er es doch an sich selbst erfahren, wie rasch das Gift wirkt --; nun ist er glücklich Herr worden darüber, hat alle Luken davor sorgsam verschlossen -- redete er sich ein -- was konnte der arme Lars dafür, daß es ihm nicht so gelang, er war ja noch ein Kind gegen ihn. Mit Gewalt war da nichts auszurichten, auch nicht mit Worten, das sah er bald ein. Wenn nur der Winter bald vorüber war, nichts Schlimmeres als das Nichtsthun und Träumen in solchem Falle, nichts besser als frischer Meerwind um Kopf und Herz, und Arbeit, -- Arbeit. So hoffte er auf das Frühjahr, und es hatte ihn, wie es schien, nicht betrogen. Er behandelte ihn, wie einen wiedergewonnenen Sohn, mit doppelter Liebe; ganz weich wurde der Knut, und Lars erwiderte die Liebe und that, als ob er etwas gut zu machen habe. Nur die Mutter, welche die böse Gicht an den Lehnstuhl fesselte, betrachtete ihn mit mißtrauischen Augen. Dieser Farb- und Stimmungswechsel gefiel ihr nicht an Lars, das war nicht Halligart. Sie wartete nur auf eines, auf Nachricht, daß die Hennings glücklich die Anker gelichtet auf Norderoog, eher war nichts zu machen mit dem Jungen. Das konnte aber nicht mehr lange auf sich warten lassen. Überall ging es schon an das Abschiednehmen, rüstete man die Fahrt, sei es im fremden Dienst, sei es auf eigene Faust. Auch Lars sollte fort. So schwer es auch Knut und der Mutter ankam, es mußte sein, nur den Sommer über, auf kurze Fahrt. Knut hatte bereits mit einem Husumer Reeder Verhandlungen gepflogen. Er selbst mußte ja auf dem Anwesen bei der Mutter bleiben, so sehr es ihn auch, gerade heuer, hinausdrängte. Ein warmer Regen war gefallen, das Meer frei vom Eise, soweit das Auge blickte. Lars war gestern nach Husum gefahren, um sich seinem künftigen Herrn vorzustellen und die nötigen Einkäufe zu machen für die Fahrt, heute abend sollte er mit dem Postschiff zurückkehren. Der gute Junge weinte, als er von der kranken Mutter sich verabschiedete, als gelte es schon die große Fahrt, -- das echte Nesthäkchen. Knut erwartete ihn an der Landungsbrücke von P..... Kein Lars auf dem kleinen Dampfer. „Wird wohl den neuen Kameraden in die Hände gefallen sein, dem lockeren Völkchen. Wenn er so anfängt, kann es gut werden.‟ Knut packte die Unruhe. Der innige Abschied von der Mutter fiel ihm jetzt erst auf. Unwillkürlich warf er einen Blick hinüber auf Norderoog; die sinkende Sonne vergoldete das kleine Häuschen am Strande. Schlimme Gedanken kamen ihm, eine fliegende Angst. Er bog vom Wege ab und eilte dem alten Turme zu, der jetzt purpurn erglühte im Glanz des scheidenden Lichtes; von da aus konnte er sehen, was er sehen wollte. Die Fensterläden waren nicht verschlossen, und doch machte das Ganze den Eindruck völliger Verlassenheit, kein Rauchwölkchen drang aus dem Kamin -- plötzlich, was war das? Ein seltsames Geräusch drang bis herüber, unartikulierte, nie gehörte Töne, wie sie nur die Todesangst einem Geschöpfe erpressen kann -- dazwischen, oder war es Täuschung? -- es mußte Täuschung sein -- „Lars! Lars!‟ Die Flut war noch aus, nur leichtes Gerinnsel drängte sich in verschlungenem Gezack durch den harten Schlick. Knut besann sich nicht mehr und watete hinein; teils trug er ihn, teils hielt er ihn mit zähem Griffe fest, -- und immer näher drang das Geräusch, der verzweifelte Ruf: „Lars! Lars!‟ Jetzt kam ihm die Erinnerung, -- eine böse, verhaßte Erinnerung. Damals in der Nebelnacht, als er den Bruder bei ihr traf, rief es gerade so heraus: „Ich hasse dich, wie ich deinen Bruder liebe!‟ rief sie, dann fiel die Thür zu hinter ihr. Die Sorge um Lars hatte ihn hergetrieben, -- die Sorge um Lars? Da mußte er stille halten, der Schlick hielt seine beiden Füße umklammert. Er lachte gell auf. „Betrüge dich nicht selbst, die Eifersucht, ein wildes Verlangen nach dem schwarzen Mädchen trieb dich her!‟ Und von neuem stieg es in ihm auf, glühendheiß, vom Herzen zum Kopf, wie damals. Gewaltsam riß er sich los und stampfte weiter. Und immer toller rief es: „Lars! Lars!‟ Jetzt ohne Unterbrechung. Er stand vor der Thür, er mußte Atem schöpfen, -- wenn sie doch drinnen wäre, allein, krank, vielleicht hilflos -- verlassen. Der alte Henning wird oft schwer betrunken in Husum gesehen. Da riß er schon an der Thür, -- sie war nicht versperrt. Das ganze Haus erfüllte jetzt der kreischende Ruf nach Lars. Aus der Stube zur Rechten kam er. Knut schämte sich der Angst, die ihn befiel, rasch öffnete er die Thür. Doch kaltes Grauen fesselte ihn auf der Schwelle. In dem Dämmerlicht der niederen Stube flatterte ein schneeweißes Gespenst kreischend auf ihn zu. Weiße Flügel schlugen um sein Gesicht, und schon hakte es sich in seine Brust fest. Kleine rotglühende Augen glotzten ihn an. Er schlug danach mit beiden Fäusten, dann ließ es los, stieß gegen die niedere Decke, gegen die Wand, die Fenster, bis es zuletzt auf der Lehne eines Sessels zur Ruhe kam. Feuerrotes Tuch lag darauf, von dem sich das unheimliche Wesen in schneeiger Weiße abhob. Knut schämte sich jetzt seiner kindischen Furcht. Es war ein Vogel, ein wirklicher Vogel, ein Köpfchen beugte sich weit vor, von einem herrlichen karmoisinroten Kamm gekrönt, der sich fächerartig spreizte; der gebogene schwarze Schnabel öffnete sich: „Lars!‟ Jetzt klang es wie eine drollige Frage, und die kleinen, jetzt kohlschwarzen Perlaugen blickten forschend auf ihn. Er erkannte auch das rote Tuch, auf dem er saß, aber die Herrin war fort. Er durchforschte das ganze Haus -- ein geleerter Schrank stand offen, -- die alte Wanduhr stand still, -- auch der nächste Raum war leer, der Herd in der Küche kalt, die Spuren des Einpackens ringsum auf dem Boden. Der Henning war fort mit seinem Kinde, auf Nimmerwiedersehen, ganz heimlich. Das wollte man ja, hoffte man ja, besonders er und die Mutter. Warum freute er sich denn nicht? Warum? Angst? -- hatte er denn Angst? „Lars! Lars!‟ tönte es durch das Haus. Da fuhr er sich an die Stirn, -- Lars! Wenn er mit ihr --? Wenn er nicht mehr käme -- nie mehr! Beide nie mehr? Ein unsäglicher Schmerz ging ihm durch das Herz. Aber das ist ja nicht möglich, sie muß ja wieder kommen, der Vogel ist ja da! Man läßt doch so ein Tier nicht hilflos zurück, -- verhungern. Er eilte in die Stube zu Babe; der zeterte von neuem und fauchte und schrie: „Lars!‟ „Zum Henker mit deinem Lars!‟ Knut griff danach und würgte ihn zwischen seinen Eisenfingern, daß die Federn stoben, doch Babe entwischte, kauerte sich ängstlich in eine Ecke der Fensternische, Knut aber starrte auf das rote Tuch am Sessel, in dem die ersterbenden Lichter des Abends spielten, plötzlich fiel er auf die Knie, barg sein Haupt in den weichen Falten und schluchzte wie ein Kind. Babe blickte erstaunt auf das fremde Wesen, dann reckte er das Köpfchen, hüpfte auf den Tisch, auf die breiten Schultern Knuts und kraute sein Haar. Jetzt schlug dieser nicht mehr nach ihm, er nahm ihn sorgfältig in die beiden Hände und streichelte sein Gefieder, dann nahm er das rote Tuch, schlug es um den Vogel, warf noch einen Blick im Raum umher und verließ das Haus. Ein dumpfes Rauschen drang von der See her, weiße Schaumrücken blitzten auf, weit draußen -- Knut kannte ihre Bedeutung, es war höchste Zeit, zurückzukehren --, schon füllten sich die Rinnen im Schlick von schwellenden Wassern, die ihm die Knöchel umspielten. Babes Herz pochte in seiner Hand, er drückte das warme Gefieder gegen seine Lippen und eilte dem jenseitigen Ufer zu, dicht hinter ihm füllte sich die Wasserstraße. Mutter Götrek wartete bangen Herzens auf Lars. Wo blieben sie denn so lange, die bösen Jungen? Endlich Schritte am Gange, -- Lars' Schritte! Weil er nur wieder da ist, der gute Junge, oh, er darf überhaupt nicht fort. Der eine Tag hatte es ihr gelehrt, sie kann nicht leben ohne ihn. Die Thür geht auf, -- „Lars!‟ Doch die ausgebreiteten Arme sanken leer zurück, Knut ist eingetreten. „Wo hast du Lars gelassen?‟ Da flatterte es im roten Tuch, Babe hatte sich losgemacht, -- schon sitzt er auf der Stuhllehne neben der Alten und kreischt sein: „Larrrs! Larrrs!‟ Knut lachte hell auf. „Hörst du? Sogar die Vögel rufen seinen Namen!‟ Mutter Götrek aber starrte offenen Mundes auf Babe, bleiches Entsetzen im Antlitz. „Der Totenvogel!‟ schrie sie auf. „Aus dem Haus! Fort! Fort! Er hat Lars geholt.‟ Sie hob den Stock auf, um nach Babe zu schlagen. Knut hielt den Schlag auf. „Laß ihn, Mutter, deinen Lars hat ein anderer Vogel geholt. Oh, nichts weniger als ein Totenvogel, ein bunter, schöner Vogel -- errätst es nicht? Die schwarze Dirne, die Henning -- auf und davon, das ganze Nest leer, bis auf den Weißen dort. Sie haben ihn ganz vergessen in ihrem Eifer, den armen Teufel, -- so nahm ich ihn mit, um doch eine Erinnerung zu haben an das saubere Paar. Na, Mutter, noch nicht zufrieden, -- wenn er lebt, erst recht lebt, der süße Junge, -- oder wäre es dir lieber, er hätte ihn wirklich geholt, der Totenvogel?‟ Die Alte nickte mit dem Kopfe. „Ja, tausendmal lieber -- lieber.‟ Schwere Thränen rollten aus den starr geöffneten Augen über die gefurchten Wangen herab. „Tausendmal lieber, Knut.‟ IV Der Nebel war seit vier Wochen nicht gewichen, ein eisiger, salziger Nebel, der einen bitteren Geschmack im Munde zurückließ, Lippe und Zunge sprüngig machte. Das Meer hatte sich mit ihm völlig verbunden in trostloser Bewegungslosigkeit. Der Begriff des Flüssigen und Luftförmigen verwischte sich, eine schwere, unsichtbare Feuchtigkeit senkte sich unausgesetzt herab, stieg wieder auf aus der formlosen, in nichts zerfließenden Wasserfläche ringsum, deren Dasein nur ein leises, eintöniges Glucksen am Rande der Schiffswände verriet. Um acht Uhr morgens erschien im Osten ein stumpfes weißes Licht, das sich langsam aufwärts bewegte, um Mittag sich dann und wann zu einer milchigen strahlenlosen Scheibe verdichtete, welche durch die Feuchte ringsum schwamm, um gegen drei Uhr wieder zu verschwinden. Das war der Tag, ihm folgte die schmutzig-graue Nacht, die der Finsternis entbehrte, wie der Tag des Lichtes. Inmitten dieser scheinbaren Wesenlosigkeit lag der Stockfischfänger „Halland‟, etwa fünfzig Seemeilen südlich der Lofodden. Die Segel waren eingerefft, die leeren Sparren verloren sich im Nebel, leise schaukelte sich der schwarze träge Rumpf; die Rauchwölkchen, welche sich aus dem Kamin zu erheben versuchten, wurden sofort von der feuchten Luft niedergedrückt und liefen als stinkende Schwaden über das Deck, auf welchem in langer Reihe schemenhafte Gestalten saßen und lagen -- die Fischer. Jeden Augenblick verriet ein klatschender Aufschlag auf dem Deck einen neuen Fang, eine Zahl wurde gerufen und die blitzende Beute kollerte in ein schwarzes Loch, das in den unteren Schiffsraum führte. Der dumpfe Ton eines Beilschlages tönte in gleichmäßigem Takte herauf. Der Fang war ein außerordentlicher in den letzten Wochen, man mußte auf eine Wanderherde geraten sein. Die Gelegenheit hieß es ausnützen. Man fischte Tag und Nacht mit Ablösungen, während man zugleich draußen in der See lange Leinen mit Legangeln schwimmen hatte, welche leere Fässer oder lange Stangen auf der Oberfläche hielten. Ein beißender Geruch erfüllte ringsum die Luft, das Deck war glitschig von Fett und Blut, der Laderaum füllte sich zusehends. Henning, der Patron, und Kapitän Hanson machten frohe Gesichter, das Kompagniegeschäft machte sich. Es war aber auch ein Wunder, wie Henning, doch eigentlich ein Südseemann seinen früheren Fahrten nach, sich auf das Geschäft da droben verstand. Das ging alles am Schnürchen, und er selbst arbeitete mit Beil und Angel und kam seit Monaten nicht aus seiner fettigen Lederjacke. Das hätte er auch nicht geglaubt: da heroben im Eismeer sollte er noch das Glück finden, dem er nachgejagt durch alle Zonen der Erde. Der junge Mann am Hintersteuer, mit der braunen Wollmütze auf dem Blondhaar, war der eifrigste der Fischer, er verwendete keinen Blick von der Angel, versäumte keinen Wurf durch ein Gespräch mit seinen Nachbarn, automatisch vollzog sich jede Bewegung, sein Geist war offenbar nicht bei der Sache. Ein weiblicher Kopf erschien in der Luke, dicht hinter ihm, welche in den Kajütenraum führte; das offenbar lockige dichte Schwarzhaar war aufgelöst von der Feuchte, welche alle Winkel durchdrang, und hing in Strähnen die braunen Wangen herab. Ein purpurnes Tuch umhüllte dicht die zierliche Gestalt. Die Farbe wirkte grell in dem öden Grau ringsum. „Lars! Wie lange läßt du uns noch warten?‟ rief eine Stimme, deren metallener Klang alle Köpfe sich wenden ließ. Der junge Mann sprang auf, noch einen Fisch auf das Deck schleudernd. „Hundertundzwanzig!‟ zählte er. „Jetzt komme ich, Nizam, -- ganz heiß ist mir geworden.‟ „Hu, und mir gefriert das Blut in den Adern. Nimmt es denn noch nicht bald ein Ende?‟ „Ein Ende? Du bist gut! Wenn es doch ein Jahr kein Ende nähme, -- zwei Jahre -- hei, das gäbe ein Geld, sechshundertmal einhundertundzwanzig -- ein Schloß gäbe es, Nizam, wie wir uns oft ausgemalt im Turm zu P.....‟ „Was hilft mir ein Schloß, wenn ich erfroren bin.‟ „Erfrieren, du?‟ Der junge Mann sprang in die Luke und drückte das Weib an seine breite Brust. „Wie kannst du denn da erfrieren? Ist's da nicht schön warm, bei deinem Lars --‟ Nizam lachte, daß die weißen Zähne blitzten. „Da schon, -- da -- aber wie oft bin ich denn da -- den ganzen Tag nicht --‟ „So, -- und was ist denn mit den anderen ihren Mädchen und Frauen, die ein halbes Jahr auf solchen Platz warten müssen? Die müßten ja sterben vor Sehnsucht und Verlassenheit --‟ „Die, Lars, nein, die sterben nicht, -- die frieren auch nicht, -- die sind schon ausgefroren da drinnen. Komm' mir nicht immer mit den anderen, ich will nichts wissen von den anderen.‟ Nizam warf zornig den Kopf auf. „Bin ich denn wie die anderen? Küsse mich, Lars, und sage mir, ob ich bin wie die anderen?‟ Ihre Lippen brannten ihm entgegen, die dunklen Augen waren feucht. Lars erfaßte der alte Taumel. Sie küßten und flüsterten in dem dunklen Raum, mitten unter dem feinen Sprühregen, der sich durch die offene Luke auf sie herabsenkte. In der engen Kajüte saßen Henning und Hanson, der Kapitän; das Mahl stand unberührt vor ihnen. Sie rechneten und schrieben Zahlen um Zahlen auf die rohe Holzplatte des Tisches; ein vom Deckbalken herabhängendes Öllämpchen beleuchtete die bärtigen Köpfe der Männer. „So und so viel hundert große Kabeljau, das Hundert zu neun Centner, und so und so viel Hundert Mittelware zu sechs, -- im Ganzen etwa hundertundvierzig Tonnen, ein Drittel davon dem Reeder, ein Drittel dem Kapitän, ein Drittel Henning, das macht ein hübsches Geld aus, -- das nächste Jahr rüstet man dann selbst ein Schiff aus, steckt das Drittel des Reeders selbst ein --‟ Die Köpfe wurden immer röter im Eifer der Rechnung. „Henning, warum haben wir uns nicht früher getroffen?‟ meinte der Kapitän, „es wäre manches anders gekommen, -- wir wären reiche Kerle geworden zusammen --‟ „Können wir ja noch werden, Kapitän,‟ erwiderte Henning lauernd, „wer hindert uns denn daran?‟ „Allerhand!‟ Hanson seufzte schwer auf und trommelte mit den Fingern auf dem Tische. „Wir hätten uns zusammengethan, -- alle unsere Interessen verbunden. Das gehört dazu, sage einer, was er wolle --‟ „Na also, Kapitän, los! Thun wir uns zusammen, ich biete die Hand.‟ Henning reichte seine Hand über den Tisch. Der Kapitän ergriff sie nicht. „Nützt nichts -- gerade heraus -- der Junge steht dazwischen, den Ihr Euch aufgebunden --‟ „Der Lars?‟ „Ja, der Lars, -- der gehört doch einmal her, -- der dritte aber will ich nicht sein, mit dem nicht, mit dem Buben. Hat es denn seine Richtigkeit mit der Heirat? Mir könnt Ihr's ja sagen, -- die Leute glauben nämlich nicht daran, -- seit wann traut man denn Kinder?‟ Hansons Stirn zog sich in zornige Falten, und der rote buschige Schnurrbart sträubte sich. „Das müßt Ihr mit Eurem schwedischen Pastor ausmachen -- bei uns wär's nicht so leicht gegangen. Wenn er nicht nachgiebt! Mein Gott, die Nizam, was wußte die davon! Ich habe keine Zeit gehabt, ihr Religionsstunden zu geben auf dem Schiff. Sie wollt' ihn einfach haben. Ins Wasser wäre sie mir gegangen, hätt' ich nein gesagt --‟ „Laßt Euch auslachen, -- ins Wasser, die? Wegen dem Burschen? Hättet Ihr sie nur aufs Schiff gebracht ohne ihn, -- sie wäre nicht ins Wasser gegangen, ich steh' Euch gut, -- wäre nur der verdammte Pfaffe nicht gewesen, heut noch, Henning, kriegt' ich sie herum --‟ „Und Ihr hättet sie wirklich --?‟ Ein ärgerliches Erstaunen malte sich in Hennings Zügen. „Zu meiner Frau gemacht hätte ich sie, was denn sonst, und alles wär' in schönster Ordnung.‟ „Verdammt! Kapitän Hanson! Das wäre freilich --‟ Henning preßte die Faust auf den Tisch und schüttelte den Kopf; „aber wer kann das wissen --‟ „Das muß man wissen, daß so ein Weib, wie Eure Tochter, zu gut ist für einen -- wenn man Augen im Kopfe hat. Ich hasse den Tölpel, -- gerade heraus.‟ Lars trat ein mit Nizam. Über ihr Antlitz war ein Schimmer von Glück gebreitet, sie lachte über die Zahlen auf dem Tische. „Warum denn so ernst, Kapitän? Nach einem so glücklichen Tag, hundertundzwanzig Stück der Lars allein! Noch nicht lachen?‟ Nizam zupfte mit den kleinen Händen an den struppigen Rotbart. „So, jetzt sind Sie viel schöner, -- wenn Sie erst keinen Bart hätten, -- Lars darf nie einen Bart tragen. Leidet's denn Ihre Frau?‟ „Ich habe Ihnen schon oft gesagt, ich habe keine Frau.‟ „Nun ja doch, -- Frau!‟ Nizam lachte sonderbar. „Ich kann ihn auch nicht ausstehen, den Namen, -- also Ihre Freundin! Nicht wahr, Lars, ich bin auch nicht deine Frau, sondern deine Freundin --‟ „Sprich nicht so frevelhaft, du bist meine Frau vor Gott und der Welt, jawohl, Herr Kapitän, in Bergen war die Trauung, Birger hieß der Pastor --‟ „Was kümmert mich der Pastor, -- ich bin doch deine Freundin. Das klingt viel schöner, nicht wahr, Kapitän?‟ „Viel schöner, finde ich auch. -- Frau! Da läuft's mir ganz kalt über den Rücken, man sieht ein altes Gesicht und eine große Haube und hört zanken und streiten --‟ „Und ich muß immer an P..... denken, an das Predigerhaus, wenn sie beisammensaßen mit ihren steifen, blassen Gesichtern. -- Hu, mich friert!‟ „Aber das ist ja sehr einfach, lassen Sie ihm die Frau, wenn er's nicht anders thut, die Freundin ist dann frei für mich.‟ Hanson lachte lärmend. Nizam warf ihm einen schelmischen Blick zu. „Einverstanden, Herr Götrek?‟ Ein heftiger Stoß erschütterte das Schiff, das sich ächzend auf die Seite legte. „Das Wetter ändert sich,‟ ergriff Lars die Gelegenheit, ein Gespräch abzubrechen, das eine ihm peinliche Wendung nahm, und zur Bestätigung pfiff und knarrte es oben im Takelwerk, ein schwerer Gegenstand kam auf Deck ins Rollen. Der Kapitän entfernte sich eilig; gleich darauf hörte man oben seine gellende Stimme, die Befehle austeilte. Man befand sich in nächster Nähe der Fär-Oer-Inseln mit ihren Klippen und Bänken, da war nicht zu spaßen. „Du mußt dich besser zum Kapitän halten,‟ begann plötzlich der alte Henning, „ich hab' meine Gründe. Wenn er einmal einen Spaß macht, nicht gleich oben hinaus. Seeleute nehmen es nicht so genau, und am Ende gehört ein junges Weib einmal nicht an Bord --‟ „Wenn es aber einmal an Bord ist, hat er es in Ruhe zu lassen,‟ erwiderte Lars zorngerötet, „sonst kann er was erleben. Eine Frechheit, seine Freundin! Wie konntest du dazu lachen, Nizam?‟ „Spaß machen darf man doch noch. Soll er mich hassen? Warum denn?‟ „Ganz recht hat sie,‟ bemerkte Henning, mit einem gehässigen Blick auf Lars. „Der Kapitän ist ein Ehrenmann. Hätten wir ihn nur früher kennen gelernt, -- alles wäre anders gekommen, wir hätten P..... nicht gesehen, das Unglücksnest --‟ „Das heißt, Ihr hättet Euer Kind verkauft um so und so viel Tonnen. Und was hättest du gesagt, Nizam?‟ Lars warf einen fragenden Blick auf sein Weib. „Die Sache mit dem Pastor in Bergen soll kein Hindernis sein --,‟ setzte er zögernd hinzu. Da hing sie schon lachend an seinem Hals. „O du großes Kind du, mit deinem Pastor in Bergen -- und wenn er mir alle Tonnen der Welt bieten würde, ich nähme ihn nicht, mit und ohne Pastor. Seid ihr's jetzt zufrieden alle zwei? Dann seid wieder gut. Gieb dem Vater die Hand, Lars.‟ Henning ergriff sie nicht, mürrisch wandte er sich ab, er müsse nach dem Wetter sehen. Lars hatte Ablösung um zwei Uhr morgens, es war Zeit zum Schlafengehen. Doch die Reden Hennings beunruhigten ihn. Der Kapitän hatte ein Auge auf Nizam geworfen, er war reich gegen ihn, Kapitän, -- wenn Nizam einmal anders dächte, -- und er hatte die alte Mutter verlassen um sie, -- Knut, den er geliebt. Die Mutter wird sterben vor Kummer, Knut ihn anklagen. -- Das Heimweh kam über ihn, die Gestalten der Verlassenen füllten den engen, schwülen Raum zum Ersticken -- er mußte davon sprechen. „Ich habe die kranke Mutter deinetwegen verlassen, meinen Bruder, alles! Vergiß das nicht, Nizam! Oft drückt es mich schwer --‟ „Und ich habe meinen Babe verlassen, den lieben, guten Babe, meinen einzigen Freund, das drückt mich auch schwer --‟ „Schäme dich! Wie kannst du das vergleichen, einen Vogel und eine Mutter -- einen Bruder --‟ „Wenn der Vogel das Einzige war, was man lieb gehabt?‟ Nizam blickte starr auf die schwankenden Deckbalken dicht über ihrem Haupte. Lars sah deutlich eine Thräne glänzen, das Flämmchen der Öllampe spiegelte sich darin. Sie war doch noch ein größeres Kind wie er. Aller Groll war verschwunden. „Beruhige dich,‟ tröstete er. „Knut hat mich jedenfalls gesucht bei euch und den verlassenen Babe mitgenommen --‟ „Knut! -- Knut haßt mich ja, er wird sich gerächt haben an meinem armen weißen Freund.‟ Lars lachte. „Mit dem Haß ist es nicht so weit her. Wenn er nach Norderoog gekommen, hat er Babe mitgenommen und hält ihn warm, verlaß dich darauf.‟ „Wenn er das gethan, -- dann -- dann --‟ „Nun, und was dann?‟ „Dann bin ich ihm wieder gut. Ich war ihm überhaupt nie böse -- er gleicht dir ja so --‟ Nizam schloß die Augen. „Dann machen wir ihn zu unserem Thorhüter in unserem Schloß, das wir auf P..... bauen aus dem alten Turm,‟ flüsterte Lars, seinen Arm unter Nizams Haupt schiebend. „Und oben -- ganz oben, -- wo das Feuer brannte, ist das Prunkgemach, alles Gold und Samt, -- draußen das weite Meer -- die weißen Vögel, die Wolken --‟ Nizam träumte so halb -- „Und Babe bekommt einen goldenen Käfig, --‟ fuhr Lars flüsternd fort, „und eine goldene Kette an den Füßen -- und eine Goldschnur im Haar, -- und die Sonne -- die warme Sonne -- die Blumen, große Blumen --‟ Nizam war eingeschlafen, Lars küßte sie auf die Stirn und löschte das Lämpchen. Eine rauhe Stimme weckte ihn, ein Pochen -- „Ablösung‟! Ein fahler Schimmer fiel herein durch die Luke, Nizam schlummerte tief, ein seliges Lächeln umspielte ihren Mund. Lars mußte an das Gespräch denken, über dem sie eingeschlafen, an das Schloß am Meer. Sorgsam kroch er aus der Koje, um sie nicht zu wecken. Ein eisiger Wind fegte ihm entgegen, klatschend fiel der Regen auf die im Leeren rings zerfließenden grauen Gestalten -- die Fischer in Reih' und Glied; und als er sich die Augen ausrieb, erblickte er, scheinbar dicht vor dem Schiffe, dunkle, riesige Umrisse -- der „Halland‟ lag in einer Bucht der Far-Öl-Boro vor Anker. Von der offenen See drang ein dumpfes Rollen, sogenannte Katzenpfoten liefen über die grünen Wasser und ließen fahle Lichter darin spielen, deren Herkunft man sich nicht enträtseln konnte; gegen die schemenhafte Felsmasse der Küste rückte schweres, tiefhängendes Gewölk durch die aschfahle Nacht. Lars wollte mechanisch zur Angel greifen, -- der Kapitän hatte heute ein anderes Geschäft für ihn. Ein Boot wurde eben freigemacht. Plätze für die Legangelleinen sollten der Küste entlang gesucht werden. Lars war zur Bemannung bestimmt. Er war dem Kapitän dankbar für die Wahl. Das Stillsitzen wäre ihm heute schwer gefallen. So war er der erste im Boote. Der vierte ließ auf sich warten; da kam Henning auf das Deck. „Laßt mich mit, Kapitän! Habt mir den Schlaf vertrieben mit Eurem Gerede gestern.‟ Hanson lachte. „Wenn Ihr wollt, -- Euer Kind ist in guter Hut --‟ Henning sprang in das Boot. Lars hatte eine unangenehme Empfindung, es war ihm, als müsse er zurück zu Nizam, -- da ertönte schon der Befehl zur Abfahrt; Henning stemmte das Ruder gegen die Schiffswand. Lars sah noch das rote Gesicht des Kapitäns sich über die Reling beugen. „Gute Fahrt, Henning!‟ Die Gestalt wuchs riesengroß im Nebel, mit ihr das Schiff, ein spöttisches Lachen wie aus weiter Ferne, -- die „Halland‟ war verschwunden, das Boot trieb ins Leere. Lars legte sich mit aller Kraft in die Ruder, da denkt man wenigstens nicht. * * * * * Ein schmerzhafter Schlag gegen die Stirn weckte Nizam. Sie hatte sich an den gewölbten Deckbalken gestoßen, der in diesem Augenblicke fast senkrecht stand. Sie selbst lag mit dem Gesicht gegen die runde Luke, durch die ein verdächtiges Brausen und Gurgeln an ihr Ohr drang. Ein stoßweises Zerren und Reißen ging durch den ganzen Schiffskörper. Zu Häupten war die Hölle los, Fässer rollten, Ketten rasselten, geller Zuruf erscholl. Nizam war geschmeidig wie ein Aal; rasch war sie in den Kleidern, sogar das wirre Haar vergaß sie nicht aufzubinden, dann rasch die eiserne Treppe hinauf und den Kopf herausgesteckt. -- Puh, eine Sturzwelle überschüttete sie, -- ringsum nichts als Gischt und Schaum, und der Sturm trommelte in den gerefften Segeln. „Lars! Gieb doch Antwort, Lars!‟ Da stand der Kapitän vor ihr, der rote Bart triefte von der salzigen Flut, aus dem wetterharten, derben Antlitz sprach nichts weniger wie Unbehagen. „Lars ist verreist, Madame.‟ Er ließ ein wieherndes Lachen vernehmen, doch Nizam that nicht mit. „Wo ist Lars?‟ sagte sie in einem Tone, der auch Hanson den Spaß nicht fortsetzen ließ. „Nur Geduld, Frauchen! Mit dem Vater ist er fort, die Küste ausspekulieren. Wird wohl wo unterkriechen bei dem Hundewetter.‟ „Mit dem Vater? Und beide haben Sie fortgeschickt?‟ Nizam stieg jetzt völlig aus der Luke heraus, ihre dunklen Augen ruhten drohend auf ihm. „Ich, fortgeschickt?‟ Hanson machte eine ärgerliche Bewegung. „Vier Mann, darunter war Lars, sehr einfach. Der Henning trat freiwillig ein für den vierten Mann. Das Wetter war völlig ruhig. Ich fortgeschickt -- beide! Wie sich das anhört!‟ „Und wenn sie sich verirren im Nebel?‟ „Henning verirrt sich nicht; ehe es dunkelt, sind sie wieder da.‟ „Und wenn sie nicht da sind?‟ „Dann suchen wir sie, schießen wir -- Herrgott!‟ „Und wenn wir sie nicht finden, wenn sie die Schüsse nicht hören?‟ „Ja dann, der Teufel -- dann kann ich auch nicht dafür.‟ Der Kapitän wollte sich entfernen. „Dann töte ich Sie.‟ Nizam war jetzt erdfahl im Antlitz und in ihren Augen schossen Blitze. Hanson lachte gezwungen. „Sie töten mich nicht.‟ Das Schiff nahm seine Führung in Anspruch, es zerrte und stampfte an der Ankerkette. Noch dichter senkten sich die Nebel. Draußen knallte und brüllte das Meer, der bleiche Tag erstarb. Kein Boot kam, kein Ruf ertönte. Der Kapitän hielt Wort, er löste die Kanone an Bord. Der Schall durchdrang nicht das Tosen des Meeres. Nizam stand ganz vorn am Bug, triefend von Feuchte, das Haar sturmzerzaust, ihr Auge durch die Finsternis bohrend. Sie bat den Kapitän auf den Knien, den Anker zu lösen, die Verirrten zu suchen. Sie drohte, stieß gräßliche Verwünschungen aus, beschwor die Matrosen, wiegelte sie gegen den widerspenstigen Kapitän auf, der ihre Kameraden schmählich zu Grunde gehen lasse -- alles umsonst! In stockfinsterer, stürmischer Nacht, umgeben von Klippen und Felsen-Eilanden, kann man nicht die Anker lichten, das hieße alle verderben. Der Henning wird irgendwo Schutz gefunden haben vor dem Unwetter, und morgen kehren sie zurück, das ist doch nichts Neues auf solcher Fahrt. Der Morgen brach an, was man hier Morgen hieß. Der „Halland‟ steuerte die felsige Küste entlang; man erblickte kaum die schwarzen Umrisse des Gesteins. „Näher! Warum nicht näher?‟ fragte Nizam. „Glauben Sie vielleicht, ich will mein Schiff in der Brandung opfern?‟ erwiderte der Kapitän. „Sie müssen alles opfern, sie zu retten.‟ „Rette ich sie denn, wenn der ‚Halland‛ sich die Rippen einrennt an den Felsen? Nur Vernunft, Frau Götrek, und wenn das Schlimmste geschieht, ich verlasse Sie nicht.‟ Nizam sah ihm bei den letzten Worten scharf in das Gesicht. Er wandte sich rasch ab und zog die Hand zurück, welche sich um ihre Taille legen wollte. Die Schüsse des „Halland‟ schreckten nur ein Heer von weißen Vögeln auf, welche kreischend wie ein Schneewirbel die Felsen umkreisten. Der Sturm nahm an Heftigkeit zu, es war wirklich unmöglich, ein Boot auszusetzen, und die Nähe der Küste war eine ständige Gefahr. Nizam war ermattet vom Rufen. Die Seevögel verhöhnten sie nur. Da war es ihr, als würden die Umrisse der Felsen immer unklarer, entweder der Nebel wurde dichter, oder das Schiff entfernte sich davon. Sie eilte zum Kapitän am Steuer, beschwor ihn auf den Knien. „Meine Pflicht ist, das Schiff zu halten, -- bei ruhigem Wetter kehren wir zurück; außerdem bin ich nicht schuld, daß Ihr Vater mitsegelte, -- ich habe ihn nicht dazu bestimmt.‟ „Und Lars, mein Lars, meinen Gatten, haben Sie den auch nicht bestimmt?‟ „Lars steht im Schiffsdienst wie jeder andere, -- Seemannslos. Wir sind selber noch nicht heil zu Hause.‟ Nizam eilte von Matrose zu Matrose, schilderte die Qualen der Verlassenen, den furchtbaren Vorwurf der Überlebenden, forderte zum Widerstand gegen den Kapitän auf. Sie fand kein Gehör, im Gegenteil, man lachte, tröstete sie mit cynischen Worten. Die begehrlichen Blicke, die sie schon seit Monaten umlauerten, wagten sich immer frecher hervor. Das gab ihr den Rest, der Wahnsinn packte sie, man mußte sie vor sich selber schützen, sie hätte sich in das Meer gestürzt, -- handfeste Arme ergriffen sie, trugen sie die Treppe hinunter, die Kojenthüre fiel in das Schloß, der Riegel wurde vorgeschoben, -- vergebens tobte sie mit den Fäusten dagegen, bis ihr die Besinnung schwand. Die „Halland‟ eilte mit Volldampf dem offenen Meere zu. Der Barometer stand schlecht. Mit dem ruhigen Wetter und der Rückkehr, von der der Kapitän sprach, war es eine höchst fragliche Sache. V Als die alte Götrek einige Monate nach dem spurlosen Verschwinden ihres Sohnes mitten in der Sommerszeit sich zum Sterben legte, setzte sie ein Testament auf. Es war das sonst nicht Sitte hier zu Lande, wenn Kinder im Hause, die sich auch ohne Geschreibsel friedlich in die kärgliche Hinterlassenschaft teilten, aber das war ein ganz besonderer Fall. Dem Lars, dem Liebling, war nichts zu hinterlassen an irdischem Gut, er war den bösen Mächten verfallen, tot oder lebendig, da gab es nur eines, was noch nützen konnte, und das sollte sein Anteil sein, ein Sühnopfer, Gott wohlgefällig und den Menschen nützlich, auf daß sie den armen Sünder im Gebete nicht vergessen. Schon lange ging die Rede davon, einen Leuchtturm zu errichten auf P....., dessen Sandbänke eine stete Gefahr für die Schifffahrt waren. Es knüpfte sich auch nach altem Seerecht allerhand Vorteil daran für die Gemeinde, Minderung der Steuer, Hafenrecht und dergleichen, es fehlte nur immer an Geld und Einigkeit. Daran dachte die Sterbende; der alte Turm führte sie darauf, in dem der Teufel ihr armes Kind verführt, wie Knut ihr oft erzählt. Er war oft genannt worden in der Leuchtturmfrage, ja, er soll schon einmal solchen Dienst verrichtet haben, ging die Sage, aber zum Verderben nur, anstatt zum Segen, indem sein trügerischer Schein die Schiffe auf den Grund lockte, die dann den Räubern reiche Beute boten, -- so war er doppelt geeignet zur Sühnstatt; und jeder Schiffer sollte des Lars gedenken und aller anderen armen Seelen, die der Böse hier geblendet. „Was an barem Gelde in der blauen Truhe sich findet, das bestimme ich für den Bau eines Leuchtturms, und zwar soll der alte Turm von P..... dazu verwendet werden, wie im Gemeinderat schon oft beschlossen.‟ So stand es im Testament, das Knut in Gegenwart des Pastors öffnete. Nun waren zweihundert alte Holsteiner Thaler, wie sie sich in der blauen Truhe vorfanden, keine Summe für solchen Bau, aber die Anregung war von neuem gegeben, auch wollte man des Geldes nicht verlustig gehen, das nur zu diesem Zwecke der Gemeinde bereit lag, weitere mildthätige Stiftungen schlossen sich daran; nach Jahresfrist begann der Umbau des alten Turms, nachdem die obrigkeitliche Bewilligung eingeholt war, ein weiteres Jahr darauf ergoß sich ein greller gelber Lichtkegel von ihm aus, weit hinaus in die Nacht des Weltmeeres. Als sein Wächter aber war Knut Götrek bestellt, der Sohn der wohlthätigen Erblasserin, der sich selbst zu dem beschwerlichen Dienst gemeldet. Von da an war er gar nicht mehr zu sehen, die Bewirtschaftung der kleinen Werft, die er ererbt, hatte er den Nachbarn überlassen; das Haus lag einsam, verlassen mit geschlossenen Luken, wie ein verlassenes Wrack. Der Turm hatte nicht gewonnen durch die Neuerung, die mit ihm geschehen. Man fand seinen alten verwitterten Leib noch so trefflich gefügt und widerstandsfähig, daß man nicht daran dachte, ihn durch einen neuen zu ersetzen; so wurde ihm einfach ein neues, wetterfestes, blankes Haupt aufgesetzt, das sich gar seltsam heraushob aus dem zerschlissenen Gewand würdigen Alters, das ihn umflatterte. Tags erschien er drollig, einfach zum Lachen, wie ein alter zerlumpter Bettler, der irgendwo einen neuen Hut aufgetrieben und damit sich brüstet. Nachts aber, wenn sein schwarzer, massiger Schaft sich aus dem Dunkel hob, die Lichtblitze aus dem behelmten Haupt ihr Spiel trieben in dem brüchigen Gestein, in den schwarzen ginsterüberwachsenen Höhlen und Fensterbogen, in den von ewiger Feuchte triefenden Quadern des Grundbaues, da erwachte er zu seltsamem Leben, da war er groß, eine stolze Leuchte des Meeres. Dicht unter der Laterne war die Wachtstube Knuts; der gotische Fensterbogen mit den zerborstenen Drachenköpfen war frisch ausgeglast und bot weite Rundsicht dem Meere zu. Der Raum war groß und nahm fast den ganzen Turm ein, ein eiserner Herd, ein lederbezogenes Lager, ein eichener Tisch, die blaue Truhe der Mutter waren die einzigen Geräte. Eine Holztreppe führte hinauf in den Laternenraum. Schweres Gebälk verkleidete die Mauern; wo diese sichtbar waren, zeigten sich da und dort geschwärzte Stellen, die stammten von dem Brande des Liebesnestes. Es war derselbe Raum. Auf dem Holzgesimse lagen halbverbrannte Muscheln, Korallenzweige, buntes Meergestein. Auf einer Stange, dicht am großen Lugaus, saß Babe, der Kakadu. Er stritt tagein tagaus mit den weißen Seevögeln, die sich in kühnen Bogen am Fenster vorbeischwangen, den seltsamen Vetter neugierig betrachteten und ob seiner Gefangenschaft verhöhnten. Des Nachts aber, wenn der Lichtschein herabfloß von der Höhe und weit hinaus über die Wogenkämme, da saß er ganz still an der Seite seines Herrn. Tauchte aber ein Licht auf am Horizont, dann stellte er den Kamm auf und schüttelte sein Gefieder. Knut war glücklich über seinen neuen Aufenthalt; die alte Hütte war ihm verhaßt, es knüpften sich zu schmerzliche Erinnerungen für ihn daran. Gewohnt, den Tod die kraftstrotzende Jugend hinwegraffen zu sehen, hatte das Ende der alten Mutter nichts Tragisches für ihn, aber den Lars konnte er nicht vergessen; der Zorn über seine schmähliche Flucht war längst verraucht, die Liebe war geblieben. Er verwandelte sich in seinen Augen immer mehr zum verführten Kinde, von einem bösen Zauber verführt, dessen teuflische Wirkung er ja selbst an sich verspürt. Die Spur Hennings und seiner Tochter hatte er nach langem Suchen glücklich aufgefunden, bis auf den Namen des Schiffes, auf dem sie sich befanden. Daß Lars bei ihnen war, blieb immer noch Vermutung, nichts Bestimmtes ließ sich darüber erfahren. Aber Knut schwur darauf. Was auf der Welt hätte sonst seinen Lars ihm untreu machen können, als diese Hexe. Ja, das war sie, eine ausgemachte Hexe, wie man sie vor achtzig Jahren noch verbrannt hatte auf dem Markte zu P....., gerade so eine. Seit einem Jahre bewohnte er jetzt diesen Raum. Er war doch völlig ausgebrannt damals, dann war er neu gezimmert worden, und noch immer roch es seltsam herinnen, wie nach fremdländischen Spezereien, die einem zu Kopfe steigen und schwüle Bilder erzeugen im Hirn. Oder war nur der Vogel daran schuld, den er zu sich genommen? Seltsame Gedanken kamen ihm oft, Erinnerungen an in der Jugend Gehörtes, Gelesenes. Wenn in ihm der ganze böse Zauber steckte? Klug war er wie ein Mensch, und wenn er ihn im Dämmerlichte der Stube so starr anblickte mit seinen roten Augen, sprach wie ein Mensch, dann ward es ihm ganz unheimlich. Wiederholt hatte er schon seinen Tod beschlossen, -- er fand nicht den Mut dazu, der Ausgang war immer, daß er ihn herzte und streichelte, seinen einzigen Freund. Zum zweiten Male war der Herbst gekommen und kehrten die Fischerboote aus dem Nordmeere zurück. Knut las mit Eifer die Berichte, die Namen der Schiffe, der Reeder, von schweren Verlusten an Menschenleben, Schiffbruch und Verschollenerklärung. Nichts von der „Halland‟. Eine stürmische Novembernacht! Dichter, großflockiger Schnee fegte durch den undurchdringlichen Nebel und verklebte die Fenster. Außen pfiff und sang es um die Ecken, innen ächzte und stöhnte es durch den Schacht herauf, knarrten die schwankenden Dielen. Vom Meer her ertönte das wüste Geheul der Sirenen, dann und wann tauchte ein schwacher Lichtschimmer auf im brüllenden Chaos. Heute galt es sich bewähren für den Turm von P..... Knut scheuerte unermüdlich an den Hohlspiegeln der mächtigen Laterne, welche, auf einen eisernen Rahmen gestellt, sich fortwährend gleichmäßig drehten, um das für den Turm vorgeschriebene intermittierende Licht zu erzeugen. Der ganze Turm schwankte, und das Uhrwerk, welches die Drehung des Rahmens besorgte, knarrte und ächzte in allen Fugen. Er war das blendende Licht schon gewöhnt und die Glühhitze in dem engen Raum, nur wenn er dann die Wendeltreppe hinabstieg in den Wachtraum, überkam ihn oft ein Schwindel, und die sonderbarsten Sinnestäuschungen äfften ihn augenblicks. Jetzt glaubte er Schritte zu vernehmen -- von unten herauf -- auf der Treppe -- deutlich -- ganz leise Tritte, -- als ob man so etwas hören könnte in dem Unwetter, in dem Gestöhn und Geknarr ringsum. Er horchte gegen die Fallthür hinab. Wer sollte denn kommen in dem Wetter? Da kreischte Babe auf -- Knut kannte seine Sprache --, doch das waren ihm fremde Laute, nicht Zorn, nicht Freude, nicht Sehnsucht, -- dann wieder die Stille -- Er riß die Fallthür auf, die Lichtfülle von oben stürzte herab in den Raum, er mußte sich an das Geländer halten -- das war ein neues Phantom, das sich ihm zeigte, ein riesiger Schatten, der sich an der Decke brach, ein menschlicher Schatten. „Wer da?‟ rief er rauh, von einer fremden Angst gepackt. Ein unterdrücktes Weinen drang herauf, -- der Schatten bewegte sich vor. Plötzlich flog Babe kreischend vorüber. „Larrrs! Larrrs!‟ Dann folgte das eigentümliche Kollern, der Ausdruck der höchsten Freude. „Wer da?‟ Knut stieg hastig herab. Er hatte nicht mehr Zeit, die Fallthüre zu schließen, den Arm zu dem Zwecke erhoben, blieb er wie gebannt stehen. Vor dem Eingange zum Wachtraum stand ein Weib, Schneeflocken hingen in dem schwarzen Haar, auf dem wollig bunten Shawl, in dem sie einen Gegenstand gehüllt trug; auf der Schulter des Weibes aber saß Babe, der Kakadu, mit den Flügeln schlagend, sein „Larrrs!‟ kreischend. Es war Knut, als ob die Stufe unter der Schwere seines Körpers wankte, der ganze Turm. „Nizam!‟ Er wagte sich nicht heraus mit dem Namen, flüsterte ihn nur. Die Gestalt nickte mit dem Haupte. Da stand er schon vor ihr, die Arme ausgestreckt, ihr Antlitz durchforschend, -- es war fahl und gelb, tiefe Furchen zogen sich darin hin, nur die Augen leuchteten wie einst, und das Haar erfüllte mit seltsamem Duft den Raum. „Nizam!‟ Nochmals nickte sie mit dem Kopfe. „Und Lars? Wo ist Lars?‟ Knut fragte drohend, Rechenschaft fordernd. Da löste das Weib das Tuch, -- blondes Gelock leuchtete im grellen Lichte, das herabfiel durch die Fallthür, ein Kinderantlitz wandte sich geblendet, die Fäustchen vor die Augen drückend. „Sein Kind? Meines Lars?‟ Knut beugte sich über das holde Wunder, er vergaß einen Augenblick das Weib vor ihm, den Bruder. „Und er -- er ist tot?‟ fragte er dann plötzlich mit unsicherer Stimme. „Was ist mit Lars? Sprich! Was habt ihr gemacht mit meinem Lars? Tot?‟ „Wer spricht von tot? Ich komme, ihn zu erwarten -- er muß ja wiederkommen.‟ „Erwarten? Wiederkommen? Hat er dich zum Teufel gejagt, oder bist du ihm davongelaufen? Bringt dich die Not hierher?‟ Nizam nickte mit dem Kopfe. „Die Not! Nichts sonst, verlasse dich darauf, der Kleine hier, -- mein Knut!‟ Das Weib sank in die Knie und drückte schluchzend das Kind an sich. Knut preßte die Fäuste zusammen. „Knut heißt er? Wirklich Knut? Und Lars -- Lars hat ihn so genannt? Ich bin ganz wirr -- du mußt schon -- komm, Nizam, -- bei dem Wetter mit dem armen Kind?‟ Er hob mit bebenden Händen das Weib vom Boden auf und führte es zu dem Sitz am Herde. „Jetzt erzähl' mir von Lars! Er lebt ja -- sagst du, -- der Lars --‟ Und Nizam erzählte von Lars, während der kleine Knut, von der behaglichen Wärme gelockt, aus der mütterlichen Hülle kroch und mit Babe sein Spiel trieb. Sie erzählte von der letzten Stunde, die sie mit Lars verlebt, wie er noch an die Mutter gedacht, und des Bruders, wie das Heimweh ihn beschlichen, von ihrem qualvollen Warten, von dem Kapitän, der taub gegen ihre Bitten, der sie eingeschlossen wie eine Wahnsinnige, von den furchtbaren Wochen, die nun folgten, verlassen, hilflos unter den rohen, lüsternen Männern, bedrängt von dem Kapitän, der sie als seine willkommene Beute betrachtete, -- und sie immer festen Glaubens an Lars' Rettung. Die „Halland‟ selbst litt schwer Schaden im Sturme, nach Monaten liefen sie erst in einem kleinen Hafen Norwegens ein. Da stand sie nun, entweder die Beute des verhaßten Mannes, oder des Elendes! Sie wählte das letztere. Der Winter stand vor der Thür. Sie verdingte sich als Magd. Im Frühjahr genas sie eines Knaben. Jetzt mußte er ja zurückkehren, der Lars, oft kam es vor, daß das Eis verirrte Fischer den Winter über zurückhält, -- aber er kam nicht, nur die Not kam, die bitterste Not! Niemand wußte etwas von Lars und dem Vater in dem Bureau der Reederei, zu welcher die „Halland‟ gehörte. Im Sommer ging es. Sie arbeitete auf dem Felde, um den Kleinen zu ernähren. Lars kam immer noch nicht, -- aber der Winter kam. Sie fühlte sich krank und schwach, jetzt galt es das Leben des kleinen Knut. Es gab nur zwei Wege -- zurück zu dem Kapitän der „Halland‟, er wird ihr nicht die Thür weisen, was er auch begehrt dafür, -- es gilt das Leben ihres Kindes, -- oder zu dem Bruder des Lars nach P..... „Du siehst, wie ich gewählt, jetzt verstoße mich, liefere mich dem Gerichte aus, was du willst, nur den Kleinen nimm auf, das Kind deines Lars.‟ Knut verlor keinen Blick von Nizam. Sie erschien ihm jetzt wieder so blühend wie damals, als er sie zum ersten Male sah im Hause der Mutter, nur das Hexenhafte war völlig verschwunden, der sündhafte heiße Blick, der sein Blut damals sieden machte; es war nur noch Mitleid, liebevolles Mitleid, das er für sie empfand. „Und du hoffst noch immer auf seine Wiederkehr?‟ fragte er. „Ich muß hoffen, wenn ich leben will.‟ „Obwohl das zweite Jahr schon um?‟ „Und wenn das dritte und vierte um, ich werde noch immer hoffen und auf ihn warten.‟ „Das ist lange, Nizam, drei, vier Jahre warten.‟ „Lange?‟ Nizam sah Knut seltsam forschend an. „O, ich verstehe dich -- ich will dir nicht zur Last fallen, -- ich will hier nicht warten, --‟ sie erhob sich jäh, „nicht einen Tag -- nur das Kind, --‟ Thränen erstickten ihre Stimme, dann färbten sich plötzlich ihre Wangen dunkelrot, und die Augen leuchteten wie damals, so drohend -- „nein, auch das Kind nicht!‟ Mit hastigem Griffe nahm sie es auf und schlug das Manteltuch um die Schultern. Doch Knut stand vor ihr in seiner ganzen Breite. „So, meinst du, Nizam?‟ Er lachte zum ersten Male wieder, seit Lars ihn verlassen. „Und du glaubst, das geht dir so durch, mit deinem Trotzkopf? Ei natürlich, -- hier habe ich allein zu befehlen, und ich befehle: dageblieben, Mutter und Kind, -- das heißt, nicht hier, in einem Raum mit dem Knut, brauchst dich nicht zu ängstigen, -- das -- das möcht' ich selber nicht -- gewiß nicht, -- ginge auch gar nicht, schon wegen dem Dienst, -- aber drüben auf der Werft -- da kannst du hausen und warten, -- ich -- ich werde dir nicht oft lästig fallen, ich verspreche es dir. Was ich noch fragen wollte -- ihr seid doch getraut, du und der Lars?‟ „Ja, das sind wir, -- zu Bergen war es. Mir wär' es wohl gleich gewesen, aber der Lars wollte es nicht anders --‟ „Lästere nicht, Nizam, das war gut vom Lars. Jetzt mach' dir's bequem, dort auf dem Lager. Hier sind Decken und Kissen. Die Suppe steht am Herd. Ich muß nach oben sehen.‟ „Und wo schläfst du, Knut?‟ fragte Nizam. Er wich ihrem Blicke aus. „Ich schlafe nicht heut nacht. Das Wetter ist stürmisch. Kümmere dich nicht um mich.‟ Er verschloß die Thür und stieg schweren Trittes die Wendeltreppe empor. Nizam sah ihm starr nach. Wie er doch Lars glich! Die Lichtflut saugte ihn förmlich auf, die herabdrang zu der geöffneten Fallthür; dann schloß er sie. Nizam war allein mit dem Kleinen und Babe. Die wohlige Wärme des Raumes, die kräftige Suppe, die sie mit dem Bübchen teilte, das weiche Lager, das ihrer wartete, -- schon lange fühlte sie sich nicht mehr so behaglich. Eine wohlige Müdigkeit überkam sie. Der kleine Knut schlummerte so süß, durch die Spalte der Fallthür brach es wie ein himmlischer Glanz. Auf der Lehne des Stuhles saß Babe, sie regungslos betrachtend. Sie dachte der kleinen Koje im „Halland‟, der letzten Worte des Geliebten: „Wenn er nach Norderoog kommt, hat er Babe mitgenommen und hält ihn warm, verlaß dich darauf.‟ „Dann bin ich ihm wieder gut, -- ich war ihm überhaupt nie böse, -- er gleicht dir ja so‟ -- genau so sagte sie --, „und oben ist das Prunkgemach -- alles Gold und Samt, -- draußen das weite Meer, -- die weißen Vögel, -- die Wolken. Und Babe bekommt einen goldenen Käfig -- und eine goldene Kette um die Füße -- und eine Goldschnur ins Haar --‟ * * * * * Neben dem Laternenraum war eine kleine Kammer, in der das Putzzeug lag, Haufen von Werg, krauses Handwerkszeug. Hier saß Knut, der Wächter, das Haupt in die Hände vergraben. Sie war das eheliche Weib seines Bruders, die Mutter seines Kindes, es war seine Pflicht, sie zu schützen. Wenn das die Mutter erlebt hätte, sie hier im Sühneturm, die Hexe von Norderoog! Unsinn! -- Hexe! Aberglaube! Spricht der Böse aus diesen Augen? Und wie zärtlich sie mit dem Kinde ist, mit dem kleinen Knut, die beste Mutter! Armer Lars, solches Glück verscherzen! Und wenn er wiederkehrt, wenn er ihm alles geben kann, was er ihm sorgfältig verwahrt, Weib und Kind! Aber er kehrt nie wieder, nie mehr, das Meer giebt keinen zurück. Zwei volle Jahre. Nie mehr! Es litt ihn nicht mehr in dem engen Raume. Im Leuchtraum saugt das glühende Licht an seinem Gehirn, -- so trat er auf die eiserne Galerie hinaus in das Freie. Da fiel ihn der Sturm an, wie ein Feind, und der feuchte Schnee umwirbelte seine heiße Stirne -- draußen brüllte das Meer in der schwarzen Leere, und im Lichtkegel des Turmes bäumten sich weißleuchtende Fabeltiere, sich gegenseitig verschlingend, -- dann und wann tönte der Klagelaut einer Sirene, oder das Tuten eines verirrten Fischers, -- das stärkte seine arme irre Seele. VI Mit banger Scheu sah man wieder Licht brennen die langen Winterabende in Götreks Werft, wußte man doch, wer dort hauste, die _Hexe von Norderoog_, wie sie der Volksmund längst getauft. Sie hatte den armen Lars, der noch in aller Erinnerung war, fortgelockt, weiß Gott wohin, kein Mensch sah ihn je wieder, und jetzt war sie wiedergekommen, wohl um ein neues Opfer zu holen. Schon hatte sie ihre Schlingen von neuem gelegt, und man wußte auch, wem sie galten. Gerade auf die Götreks hatte sie es abgesehen. Die Schneespur zwischen der Werft und dem Leuchtturm war immer wieder aufgefrischt. Ist ja doch ihr Schwager, und der Junge seines Bruders Sohn, meinten die Wohlgesinnten. Saubere Schwägerin, sauberer Bruders Sohn, die andern, kann man sich vorstellen, was das für eine Ehe gewesen ist. Schämen soll er sich, der Knut, der doch der eifrigste Gegner der Hexe war. Knut kannte die Stimmung. Er wäre am liebsten alle Tage den Weg gegangen, aus Trotz, aus Zorn über die Bosheit der Leute, aber er wagte es selbst nicht, vor sich selbst fürchtete er sich, nicht vor den anderen. Das Bild, das er da drüben immer wieder zu sehen bekam, war zu verführerisch für den einsamen Mann, die Mutter mit dem Kinde. Es hatte gar nichts Hexenhaftes, im Gegenteil, etwas ganz Himmlisches für ihn. Dann und wann kam es ihm wohl vor, als blicke aus den schwarzen Augen die einstmals so gefürchtete Heidin, die Verführerin seines Lars, aber das war nur seine eigene wilde Begierde, die immer wieder hervorbrach, sein eigenes sündiges Blut, das sich regte. Nizam und der Knabe waren für ihn das heilige Vermächtnis Lars'. Er kehrte ja nie mehr zurück, nie mehr, tausendmal sagte er sich das, -- gleichviel, dann konnte er ihm wenigstens drüben einmal Rede stehen. Nizam schien sich völlig einzugewöhnen. Die Pflege des Kindes nahm sie ganz in Anspruch, nur immer durchsichtiger wurde das Antlitz, immer weißer, und die Augen immer größer, brennender. Ein böser Husten quälte sie, das hatte sie noch von der „Halland‟ her, von den entsetzlichen Nebelwochen, der ewigen kalten Feuchte, die sie nicht vertragen konnte. Knut gegenüber verlor sie rasch alle Scheu. Sie behauptete, alle Tage werde er dem Lars ähnlicher, doch schien diese ständige Erinnerung eher wohlthätig auf sie zu wirken, als schmerzlich, der Freude nach, die sie jedesmal äußerte, wenn Knut auf Besuch kam. Das Gespräch kam immer wieder auf Lars. Knut wußte so viel Neues, der Stoff ging ihm gar nicht aus, dem sonst so Schweigsamen, und der Kleine lehrte ihn sogar das Lachen, wenn er auf seinem Schoße spielte. Zur rechten Zeit schreckte ihn dann irgend eine Bemerkung Nizams, ein Blick, ein Lächeln, ein eigener jäher Gedanke aus seiner Sicherheit, und er blieb wieder eine Woche aus. Das waren die schlimmsten Zeiten; wie die Schwärme der Seevögel im Frühjahr den Turm, so umschwärmten ihn die Gedanken. Wenn Lars wirklich nicht mehr kam -- und es war gewiß, daß er nicht mehr kam, -- was soll dann werden mit Nizam? Ihm selbst konnte auch einmal etwas zustoßen, beim Fischfang, beim Rettungswerk, -- überhaupt, es geht oft sonderbar, der Tod lauert überall auf einen. Dann war sie der Bosheit, dem Vorurteil der Leute ausgesetzt, die sie haßten, die sie keinen Tag mehr dulden würden auf der Insel. War es nicht seine Pflicht als Bruder, vorzusorgen, -- trat er nicht Rechtens Lars' Erbschaft an, und das Beste, das Teuerste, was er besaß, sollte er dem Zufall preisgeben? Wer hatte denn mehr Recht auf Nizam, als er? Etwa der Kapitän, der sie verfolgt mit seinen lüsternen Anträgen, den sie haßte, verabscheute, -- oder irgend ein anderer? Ja, hatte denn Lars allein das Recht, sie zu lieben, zu besitzen? Solange er lebte, wohl, -- aber der Tote hat doch kein Recht mehr auf das Leben, -- und er war ein Toter, so gewiß, als in ihm tausendfältig neues Leben sich regte. Seit wann ist es Sitte, daß junge Frauen ewig Witwen bleiben? Er kannte zwei Familien, in denen die Brüder die Witwen des verunglückten Bruders heirateten; allgemein wurde die Heirat nur gebilligt. Warum für ihn und Nizam ein anderes Maß? Aber wenn Lars doch noch lebte? Alles schon dagewesen -- die unglaublichsten Fälle, -- nun, dann wartet man noch das Frühjahr ab, den Sommer, -- also das dritte Jahr. Weiter kam er nicht, dann faßte ihn das Grauen, -- ehrlich gesagt, man wartet auf die Gewißheit seines Todes, -- man hofft sicher darauf, man zittert, daß es anders kommen könnte. Er zittert, der Bruder! Furchtbarer Frevel! So verging der Winter in schwerer Herzensnot, und das Frühjahr kam, ein rauhes, wildes Frühjahr, wie die Nordsee es liebt, mit Sturm und Hochflut und wochenlangen Regenschauern. Nizam war bettlägerig, noch nie fühlte sie sich so schwach. Ein krankhaftes Sehnen überkam sie, fort, nur fort, der Sonne zu, dem Licht, der Wärme, förmliche Hallucinationen stellten sich ein, von blumigen Wiesen, blauem Himmel, von kühlenden Gewittern nach schwülen Nächten. Knut hörte ihr oft besorgt zu. Sie war ernstlich krank, das verstand er jetzt. Und wenn er neben ihr saß, den kleinen Knut im Schoße, und beide ihren sonderbaren Erzählungen lauschten von fernen, sonnigen Ländern, der Mann und das Kind, und wenn sie dann plötzlich seine Hand ergriff und zärtlich drückte und ihn so flehend ansah, als wollte sie sagen: Komm und führe uns dahin, -- da frohlockte er in seinem Innern, und er glaubte, die Sprache zu verstehen. Es handelt sich gar nicht um Sommer, Licht und Wärme, um ferne Länder, sondern um etwas ganz anderes, -- um Liebe und ein treues Herz, ohne das dieses Wesen gar nicht leben konnte, danach sehnte sie sich, an dem Mangel daran starb sie noch, wenn er nicht abhalf, und er könnte abhelfen, wenn er nur den Mut hätte. Eines Tages aber fand er den Mut. Nizam war aufgestanden, es war ein seltener Sonnentag; sie saß am Fenster, badete sich im warmen Licht und blickte so hoffnungsvoll hinaus in die Weite. Sie schien heute eine besondere Freude zu haben über sein Kommen, das stärkte ihn. Wie nur anfangen? Babe schnarrte heute immer sein „Larrrs‟! Das verwirrte ihn ganz, rief von neuem sein Gewissen wach. Zum Glück kam ihm der kleine Knut entgegengestrampelt. Er herzte und drückte ihn wie noch nie. „Was soll denn aus meinem lieben Jungen werden? Was denn? Ein Seemann? Ein Soldat? Oder gar ein Studierter? Hast du schon darüber nachgedacht, Nizam?‟ wandte er sich dann plötzlich an die Frau am Fenster, vom Scherze plötzlich abspringend. Nizam seufzte schwer auf. „Was soll ich darüber denken, -- ich! Aber es hat ja noch Zeit, -- wenn -- wenn --‟ ihre Stimme stockte, „wenn Lars einmal kommt --,‟ dann brach sie in helles Schluchzen aus. „Nizam!‟ Knut rief es verdrossen, „das ist nicht recht von dir, das ist ein Frevel! Jawohl, ein Frevel! Was Gott will, will er, und er weiß, warum er es will, und der Mensch soll nicht trotzen.‟ „Was will dein Gott?‟ Nizams Antlitz bekam plötzlich einen strengen Zug. Knut verwirrte ihr Blick. „Gott will -- Gott will nicht, daß man --‟ Knuts Brust hob sich mächtig, dann platzte er heraus: „Gott will, daß dieser Junge unter eine männliche Zucht komme. Gott will, daß du dich nicht zu Tode kümmerst, daß du für ihn lebst. Gerade heraus, Gott will nicht, daß du allein bleibst --‟ „Knut!‟ Nizam sprang von ihrem Sitze auf. „Wer sagt dir, daß ich allein bin, wer sagt dir das, Knut? Hast du Nachricht? Hast du?‟ „Nichts habe ich, mein Verstand sagt es mir, und noch etwas, mein Herz. Ja, Nizam, mein Herz -- ich -- ich -- sieh mich doch an, bin ich denn so weit ab von Lars? Daß ich älter bin, nun ja -- das bin ich, aber sonst --‟ Knuts Antlitz rötete sich, ein heftiger Sturm erhob sich in ihm; „er hat dich ja mir weggestohlen, der Lars, ja, das hat, -- so wahr ich leb', das hat er! Ich hätte dich ja selbst zum Weib genommen. Tag und Nacht habe ich nichts anderes gedacht, nur der Mut hat mir gefehlt -- und dann die Eifersucht -- ich sah ja, wie lieb du ihn hattest, darum schwieg ich, -- aber jetzt -- jetzt -- ich verlange ja nicht, daß du mich -- wie den Lars, -- das -- das weiß ich schon, das kommt nur einmal -- aber ich bin ja mit wenig zufrieden -- mit allem, Nizam -- nur mein Weib sollst du werden --‟ „Und Lars -- Lars ist tot?‟ Nizam war jetzt dicht vor Knut getreten. Es war eine furchtbare Frage, eine Frage, die Knut in seinem Innersten erbeben machte und zugleich etwas wie Haß weckte gegen den unbesiegbaren, immer wieder drohend sich vor ihm erhebenden Toten. „Ja denn, er ist tot!‟ schrie er auf, „_muß_ längst tot sein. Warum soll er denn nicht tot sein, wenn er drei Jahre nicht kommt, nichts hören läßt von sich -- ich wollte ja selbst -- war ja doch mein Liebling, der Lars aber er ist tot -- und so antworte, Nizam, ich -- ich begehre dich zum Weibe.‟ Knut war erschöpft, er mußte sich setzen. Nizam schwieg lange, selbst der kleine Knut empfand unbewußt die heftige Spannung, die den kleinen Raum erfüllte, und blickte mit offenem Munde auf den gebeugten Mann auf dem Stuhl. „Willst du nicht warten, Knut,‟ begann plötzlich Nizam, während sie hinausblickte in den Frühjahrstag, „nur noch zwei Wochen --‟ „Wieder warten!‟ Knut nickte mit dem Kopfe. „Das heißt, du hoffst noch -- dann -- ja dann allerdings --,‟ er erhob sich mühsam. „Nein, -- ich hoffe nicht mehr -- hab' Mitleid, Knut.‟ Nizam schwankte, Knut nahm sie in seine Arme. Sie ließ es ruhig geschehen, er preßte sie an sich, er küßte sie -- dann riß er sich jäh los. „Ich warte, Nizam.‟ Nizam sah ihm mit einem sonderbar listigen Lächeln nach, dann setzte sie sich wieder an das Fenster und starrte in den Frühling hinaus, als erwarte sie jemand. * * * * * Von neuem war der Winter Herr, er stürmte und wetterte seit zwei Wochen mit dem blöden Zorn der Verzweifelten. Nizam fühlte sich so matt wie noch nie die Füße versagten ihr den Dienst. Und Knut kam nicht mehr, volle zwei Wochen. Wenn sie nur den Termin nicht zu weit gesteckt, wenn er nur nicht zu spät kam. Das heißt, das war ja eigentlich ihr Gedanke damals, jetzt aber, wo es galt, kam es über sie wie Sehnsucht nach ihm, vielleicht nicht nach ihm, nur nach einem Menschen, der sie liebte, nach dem Ebenbild des Geliebten vielleicht, was wußte sie, sie empfand nur die furchtbare Stille um sie her, und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Wenn er jetzt gekommen wäre, zu Füßen wäre sie ihm gefallen, abgebeten hätte sie ihm alles, aber zu ihm durfte sie nicht, um keinen Preis, auch wenn sie es vermocht hätte. Der 14. April war angebrochen. Wenn er gar nicht mehr käme, wenn er jede Hoffnung aufgegeben hätte, wenn er sich ein Leid angethan? Qualvolle Angst erfaßte sie. Sie konnte sich heute nicht vom Lager erheben, so schwach fühlte sie sich, ja oft mußte ihr das Bewußtsein geschwunden sein, so verworren, so zusammenhanglos fand sie sich oft. Kam er heute nicht, mußte sie den kleinen Knut um Hilfe senden in die Nachbarschaft irgendwohin. Wenn man sie auch haßte und fürchtete, sterben wird man sie doch nicht lassen, sie und das Kind. Auf dem Bettrande saß Babe, mit bedenklich gedrehtem Kopfe seine Herrin betrachtend. Ihr Blick war ständig auf die Thür gerichtet. Er mußte ja kommen! Jetzt war es eine qualvolle Sehnsucht, die sie nach Knut ergriff. Das waren Tritte -- trotz dem Heulen des Sturmes, dem Knarren und Ächzen, hörte sie es deutlich -- schwere Tritte -- seine Tritte. Eine neue Lebenswelle stieg in ihr auf. Jetzt war sie sein, wenn er kam. Und sie wird wieder gesund werden -- vergessen -- leben -- leben! Die Hausthür ging. Warum eilte er nicht mehr? „Knut! Knut!‟ rief sie, bis der böse Husten ihre Stimme erstickte. Da öffnete sich die Thür. Knut, in einem blauen Mantel gehüllt, auf dem dichter Schnee lag, die Mütze tief hereingedrückt. Er erschrak bei ihrem Anblick, wankte gegen die Wand. „Weil du nur kommst, Knut, o wie ich dich erwartet habe, wie ich gebetet habe, daß du kommst. Ja, gebetet! Schau nur so erstaunt, Nizam hat gebetet. Komm' doch Knut, ich weiß, ich habe dir wehe gethan, aber ich durfte ja nicht anders. Jetzt wird alles gut. Knut, was ist dir denn? Was hüllst du dich so in den Mantel? Ich fürchte mich, Knut!‟ Da schlug der Mann den Mantel zurück. Nizam schrie auf, streckte abwehrend die Hand aus und sank in die Kissen zurück. Lars stand vor ihr, ihr Gatte. Er riß sie empor, drückte sie an sich, stöhnend wie ein schwerverwundetes Tier. „Nizam höre mich! Du mußt mich hören! Ich bin es, dein Lars! Sprich, Nizam, was ist dir -- mein Bruder? Du hast gebetet, daß er kommt. Du hast noch nie gebetet, Nizam. Er liebt dich, er hat dich ja immer geliebt. Rede, Nizam, ich muß alles wissen, du hast mich vergessen über ihn, du bist sein Schatz geworden --‟ Nizam lag wie Blei in seinen Armen, ihr Blick war starr nach oben gerichtet, nur ihre Lippen formten mühsam den Namen „Lars‟, dann verklärte sie ein Lächeln. Er ließ sie in die Kissen sinken, angstvoll auf ihren Atem lauschend. Plötzlich schlug sie die Augen auf und sah ihn groß an, mit einem Blick, der jede weitere Frage auf seinen Lippen verstummen machte. Er nickte ihr zu. Sie schlug die Arme um seinen Nacken. „Ich habe dich erwartet, Lars, ich wußte, daß du kommst -- das Licht hat ja gebrannt im Turm, -- sieh', sieh' nur --‟ Sie hatte sich im Bett erhoben und wies mit ausgestrecktem Arm gegen das Fenster. Lars folgte ihrem Blick. Das Licht des Leuchtturms strahlte durch das Dunkel, es wuchs und wuchs zu einer riesigen Sonne, die ihren Schein bis herein warf in den kleinen Raum, über das Antlitz der Sterbenden, in dem sich plötzlich das Entsetzen malte. „Feuer! Feuer!‟ schrie sie auf, „der Turm brennt, -- unser Liebesnest, -- armer Knut, -- hörst du nichts? -- ganz deutlich. Sie kommen -- alle -- mit Knut, mich zu töten, die Hexe von Norderoog. Lars, verlasse mich nicht.‟ Sie drängte sich bebend an ihn. „Schütze mich vor deinem Bruder -- ich höre ihn auf der Treppe -- da -- da!‟ Sie wies auf die Thür, die sich öffnete. Knut war eingetreten. Er wankte zurück bei dem Anblick des Mannes vor dem Bett, der sich jetzt erhob. „Ja, ich bin es schon, der Lars! Sieh' mich nur nicht so entsetzt an, ich bin kein Gespenst -- alles Fleisch und Bein.‟ „Thue mir nichts zu Leid, Knut, -- wegen dem Feuer -- ich wollt's ja nicht -- wir waren so glücklich zusammen.‟ Nizam sank in die Kissen zurück. „Nimm dich in acht, Lars, -- der Kapitän -- er liebt mich -- und den Babe hat er wirklich geholt -- Knut! Mein kleiner Knut!‟ Da kroch es vorsichtig aus einer verborgenen Ecke hervor, ein blondlockiges Kind, ein Knabe, der kleine Knut, der sich vor dem fremden Manne verkrochen. Lars, die Wahrheit ahnend, nahm ihn in seine Arme und brachte ihn der sterbenden Mutter. „_Mein_ Sohn?‟ Nizam lächelte selig. „Lars!‟ Sie ergriff seine Hand und legte sie auf eine andere, welche sich an den Bettrand klammerte. Lars blickte auf, Knut kniete neben ihm, ein großer Schmerz schüttelte den mächtigen Körper. Ganz langsam erkaltete die kleine schmale Hand, die auf den beiden der Brüder lag, und sie wagten sie nicht wegzuziehen. Zuletzt war es, als ob ein Stück Eis auf ihnen läge, schwer wie ein Berg, bis an das Herz ging die grausige Kälte. Babe, der am Kopfende des Bettes gesessen, stieß plötzlich einen nie gehörten Ton aus, breitete die Schwingen und flatterte über Nizam -- Nizam war gestorben. Knut wollte sich erheben, er hatte kein Recht auf diesen Platz. Lars hielt ihn fest. Da entlastete er seine arme Seele, sich selbst anklagend, wie er sie geliebt von Anfang an, wie er gekommen, um Nizam zu freien, die ihrem Lars treu geblieben bis zum Tode, wie er alles gethan, sie wankend zu machen, -- wie er den Bruder vergessen, der ihm einst teuer war, wie ein Sohn, -- die Gewißheit ersehnt seines Todes. -- Doch seltsam, alles war umsonst, aller Haß, aller Zorn, der eben noch Lars' Brust erfüllt, war verstummt vor dem bleichen Antlitz dort, mit dem Lächeln erfüllter Sehnsucht in den Zügen, welche ein voller Lichtstrahl verklärte, vom Sühneturm der alten Götrek her. Lars legte die Arme um den Nacken des Bruders und weinte sich aus. Das war der letzte Zauber der Hexe von Norderoog. Den andern Tag ums Grauwerden verließ beim heftigsten Nordsturm ein Kutter den kleinen Hafen von P....., der wohl in der Dunkelheit angekommen sein mußte, da ihn niemand beobachtete. Zwei glaubhafte Männer behaupteten steif und fest, Knut Götrek, der Leuchtturmwächter, sei darauf gewesen, und auf der einen Segelstange hätte der weiße Teufelsvogel gesessen der Hexe von Norderoog. Also hat sie ihn doch endlich geholt, wie den anderen, den Lars! Man machte die Anzeige bei dem Seevogt; der hatte nichts Eiligeres zu thun, als Leute nach dem Turm zu schicken. Der breite Damm, der zum Turm führte, war geborsten in der Sturmnacht, er war vom Land abgeschnitten. Die noch immer aufgeregten Wasser bedrängten ihn jetzt von allen Seiten. Man rief nach dem Wächter -- keine Antwort erfolgte; als man mittels eines Bootes den Eingang erreichte, erblickte man die Leiche Knuts zwischen dem schaumumquirlten wilden Gestein, welches den Fuß des Turmes umsäumte. Er hatte wohl in der Dunkelheit den Dammriß nicht beobachtet und war in den Fluß gestürzt. Wo war er aber die Nacht, der ungetreue Wächter? Wo anders, als bei der Hexe oben?! Das Gerücht machte im Fluge die Runde, und ehe eine Stunde verging, näherte sich ein Trupp Menschen, Männer, Frauen und Kinder, Götreks Werft. Dem Unfug mußte einmal ein Ende gemacht werden. Man näherte sich vorsichtig. Alles still! Sie schlief wohl noch, die Hexe. Endlich drang man ein. Das Nest war leer, nichts als ein zerknülltes Bett und einige weiße Vogelfedern am Boden. Jetzt war kein Zweifel mehr, wer auf dem Schiffe heute morgen die Insel verlassen; die zwei Gewährsmänner, welche den weißen Vogel auf der Segelstange sitzen sahen, triumphierten -- wo der ist, ist sie auch nicht weit. Aber der Knut liegt unten vor dem Turm ertrunken und zerschellt, das hat man doch selber gesehen. „Und ich habe selber gesehen, daß er auf dem Schiffe war, der Knut,‟ meinte einer der Männer, „wenn ich auf zehn Schritte vorbeifuhr mit meinem Boote.‟ Jetzt war der letzte Zweifel gehoben, daß es mit der Hexe von Norderoog seine Richtigkeit hatte. Scheu, kopfschüttelnd entfernte man sich, sich bekreuzigend, am Ende war man froh, sie los zu sein. Eine Frau steckte heimlich die weißen Federn ein, die am Boden lagen, wer weiß, für was sie gut waren. * * * * * Der Name Götrek wurde nicht mehr genannt auf der Insel. Die Werft lag leer, bis das Meer sich in einer Sturmnacht ihrer erbarmte und sie dem Boden gleich machte. Nach vielen Jahren kam eines Tages ein großer blondbärtiger Mann nach P....., ein Seemann seinem ganzen Äußeren nach. Sein erster Gang war auf den Kirchhof. Dort fragte er den Küster nach dem Grabe des früheren Leuchtturmwächters Knut Götrek, -- der wies ihm ein verwuchertes Grab in einer entlegenen Ecke. Kein Kreuz, kein Stein machte es kenntlich. Der Küster meinte: „Es ging nicht mit rechten Dingen zu bei dem Tode dieses Mannes, von Rechts wegen gehört er überhaupt nicht in geweihte Erde.‟ Daraufhin nahm der Fremde einen Bankschein aus einer Ledertasche und drückte ihn dem sprachlosen Küster in die Hand. „Geben Sie das dem Pastor, er soll dafür sofort auf dieses Grab einen würdigen Denkstein setzen lassen; binnen Jahresfrist werde ich nachsehen, ob das geschehen ist. Mein Name ist Götrek. Vergessen Sie das nicht dem Pastor zu sagen.‟ Dem Küster entfielen die Kirchenschlüssel, die er in der Hand hatte; vor Entsetzen sprachlos, mit offenem Munde blickte er dem Fremden nach. Der Stein wurde gewissenhaft gesetzt. Die Inschrift lautete: „Hier ruht Knut Götrek, Wächter des Leuchtturms auf P....., verunglückt in der Sturmnacht vom 14. zum 15. Mai 183 .‟ Man erinnerte sich von neuem des seltsamen Falles. Die meisten schämten sich im Lichte einer aufgeklärten Zeit ihrer einstigen Thorheit, einige aber schüttelten doch bedenklich die Köpfe über den seltsamen Fremden und fühlten sich nur in ihrer abergläubischen Anschauung bestärkt: der Fremde war niemand anders, als Knut Götrek selbst, der sich sein Grabmal bestellt, -- der Buhle der Hexe von Norderoog. [Illustration] Ludwig Thoma Assessor Karlchen und andere Geschichten Umschlag-Zeichnung von _Bruno Paul_ Zehntes Tausend Preis geheftet 1 Mark Elegant gebunden 1 Mark 50 Pf. _Der Tag_, Berlin: Ihre sozialpolitisch gerichtete Tendenz, ihr feiner, über der Sache stehender Humor und die scharfe Beobachtung von Dingen und Menschen geben diesen Skizzen einen bleibenden Wert, und der Kulturhistoriker künftiger Zeiten könnte aus dem Büchlein mehr Einsicht in unsere Kulturgeschichte gewinnen, als es ihm aus dem Studium der „Quellen‟ möglich ist. _Die Post_, Berlin: Ludwig Thoma hat sich durch sein köstliches Bauernbuch „Agricola‟ und seine Geschichten im „Simplicissimus‟ einen Namen gemacht. Sein neues Buch wird ihm viele neue Bewunderer erwerben. Die prächtige Frische seiner Geschichten, das scharfe Künstlerauge, mit dem er beobachtet, und die verblüffende Sicherheit und Originalität, mit dem er das Beobachtete wiedergibt, sein urdeutscher Humor und die Kraft ehrlicher Entrüstung in seiner Satire, das alles macht dieses höchst amüsante Buch zu einem erfreulichen Zeugnis dafür, daß es unter unseren jüngeren Schriftstellern noch ganze Kerle gibt mit derben Knochen und festen Muskeln. Albert Langen Verlag f. Litteratur u. Kunst München Ludwig Thoma Die Medaille Komödie in einem Akt Sechstes Tausend Geheftet 1 M. 50 Pf. Elegant gebunden 2 Mark 50 Pf. ~Bei der Erstaufführung am Münchener kgl. Residenz-Theater erntete „Die Medaille‟ stürmischen Erfolg.~ _Die Medaille_ wurde bis jetzt von nachstehenden Bühnen angenommen: _Bamberg_ (Stadttheater) -- _Berlin_ (Buntes Theater) -- _Erlangen_ (Stadttheater) -- _Fürth_ (Stadttheater) -- _Graz_ (Stadttheater) -- _Hamburg_ (Stadttheater) -- _München_ (Kgl. Hoftheater) -- _Nürnberg_ (Stadttheater) -- _Schwerin_ (Großherzogl. Hoftheater) -- Wien (Deutsches Volkstheater). Thomas intime Kenntnis gerade der bayerischen Bauern prädestinierte ihn von Anfang an gerade zum Dichten einer Bauernkomödie. Die Echtheit seiner Gestalten empfindet jeder, mag er ihre Urbilder aus eigener Anschauung kennen oder nicht. Und so wird die „Medaille‟ ihrem hochtalentvollen Autor in allen deutschen Gauen viele Freunde zu den alten werben. Albert Langen Verlag f. Litteratur u. Kunst München Peter Schlemihl (Ludwig Thoma) Grobheiten Simplicissimus-Gedichte Umschlagzeichnung von _Bruno Paul_ Dreizehntes Tausend Preis geheftet 1 Mark Elegant gebunden 1 Mark 50 Pf. Wem die Natur einen Magen verliehen hat, der die Würze von Pfeffer und Salz dem Zucker vorzieht, der greife getrost nach dem Buch des Münchners, den man im Süden schon aus dem „_Simplicissimus_‟ unter dem Namen „Peter _Schlemihl_‟ kennt. Empfindet man in den satirischen Spalten des Münchner Karikaturenblatts die Beiträge Schlemihls zuerst nur als gut versifizierte Leitartikel, so erkennt man aus dem kleinen Buch, in dem man die Gedichte in vollen Zügen und nicht bloß löffelweise genießen kann, daß die Form einen eigenartigen dichterischen Wert besitzt, daß den Kraftgedanken eines rücksichtslosen Wahrheitsbekenners auch eine echt poetische Kraft der Darstellung entspricht. Es ist ein neues Genre und eine neue Saite. Aber aus der Vielfältigkeit der Ausdrucksmittel erkennt man bald ein reiches und übersprudelndes Talent. Albert Langen Verlag f. Litteratur u. Kunst München Druck von Hesse & Becker in Leipzig +----------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen | | gebräuchlich waren, wie: | | | | anderen -- andern | | Euch -- euch | | Turmes -- Turms | | Umschlag-Zeichnung -- Umschlagzeichnung | | | | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. | | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: | | | | S. 10 „Jungfrau von Cordoan‟ in „Jungfrau von Cordouan‟ | | geändert. | | S. 39 „Gebahren‟ in „Gebaren‟ geändert. | | S. 40 „Schiffahrt‟ in „Schifffahrt‟ geändert. | | S. 55 „tötliche‟ in „tödliche‟ geändert. | | S. 94 „Fär-Ör-Inseln‟ in „Fär-Oer-Inseln‟ geändert. | | S. 100 „Bemannnung‟ in „Bemannung‟ geändert. | | S. 101 „stoßweißes‟ in „stoßweises‟ geändert. | | S. 104 „widerspänstigen‟ in „widerspenstigen‟ geändert. | | S. 108 „Schiffahrt‟ in „Schifffahrt‟ geändert. | | S. 115 „intermittirende‟ in „intermittierende‟ geändert. | | S. 151 „prädestinierten‟ in „prädestinierte‟ geändert. | | | +----------------------------------------------------------------+ End of Project Gutenberg's Die Hexe von Norderoog, by Anton von Perfall *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 60295 ***